Abschleifung meist bis auf einen einzigen Consonanten ganz un- kenntlich geworden sind, so dass sie also nur noch zu gramma- tischen Zwecken dienen.
Eine breite Kluft liegt zwischen den höchst entwickelten der niederen Sprachen und denen des semitischen und arischen Völker- kreises. Hier sind die sinnbegrenzenden Lautbestandtheile meistens fest zusammengeschmolzen mit dem Hauptstamme. Die Wurzel- haftigkeit ist am Hauptwort und Zeitwort völlig verschwunden, eine wahre Beugung und eine wahre Wandelung sind vorhanden, nur werden sie bei den Ariern und Semiten auf ganz verschiedne Art vollzogen. Die Sprachen Vorderasiens oder die semitischen sind kenntlich daran, dass ihre Stämme stets drei Consonanten zeigen, wenn auch oft genug der dritte Consonant dürftig oder kümmerlich vertreten ist. Vor, nach oder zwischen diese Con- sonanten werden Vocale eingeschoben, welche die Sinnbegrenzung vollziehen. Der Consonant ist, wie Steinthal es glücklich aus- spricht, der Stoff des Gedankens und der Vocal verleiht ihm die Gestalt. Man könnte auch den ersteren mit dem Marmorblock vergleichen, den andern mit dem Bildhauer. Ein oft benutztes Beispiel wird das eben Gesagte erläutern. Für alles, was sich auf das Vergiessen von Menschenblut bezieht, verwendet die arabische Sprache die Dreiconsonantengruppe q-t-l. Daraus bildet sie
qatala er tödtet
qutila er wurde getödtet
qutilu sie wurden getödtet
uqtul tödten
qatil tödtend
iqtal Tödtung verursachen
quatl Mord
qitl Feind
qutl mörderisch.
Bei dem Zeitwort verleiht der mittlere Vocal eine transitive oder intransitive Bedeutung, am Vocal der ersten Stammsylbe wird das Activum (a) vom Passivum (u) unterschieden, und am Vocal des letzten Consonanten der Modus, wobei u den Indicativ, a den Conjunctiv ausdrückt, während beim Jussiv, der eine Aufforderung enthält, der Vocal gänzlich wegfällt. Die anderen Wandlungen des Zeitwortes werden durch Präfixe und Suffixe vollzogen, die aber ebenfalls eine Lautwirkung auf die Vocale der Sylben, denen sie
Der Bau der menschlichen Sprache.
Abschleifung meist bis auf einen einzigen Consonanten ganz un- kenntlich geworden sind, so dass sie also nur noch zu gramma- tischen Zwecken dienen.
Eine breite Kluft liegt zwischen den höchst entwickelten der niederen Sprachen und denen des semitischen und arischen Völker- kreises. Hier sind die sinnbegrenzenden Lautbestandtheile meistens fest zusammengeschmolzen mit dem Hauptstamme. Die Wurzel- haftigkeit ist am Hauptwort und Zeitwort völlig verschwunden, eine wahre Beugung und eine wahre Wandelung sind vorhanden, nur werden sie bei den Ariern und Semiten auf ganz verschiedne Art vollzogen. Die Sprachen Vorderasiens oder die semitischen sind kenntlich daran, dass ihre Stämme stets drei Consonanten zeigen, wenn auch oft genug der dritte Consonant dürftig oder kümmerlich vertreten ist. Vor, nach oder zwischen diese Con- sonanten werden Vocale eingeschoben, welche die Sinnbegrenzung vollziehen. Der Consonant ist, wie Steinthal es glücklich aus- spricht, der Stoff des Gedankens und der Vocal verleiht ihm die Gestalt. Man könnte auch den ersteren mit dem Marmorblock vergleichen, den andern mit dem Bildhauer. Ein oft benutztes Beispiel wird das eben Gesagte erläutern. Für alles, was sich auf das Vergiessen von Menschenblut bezieht, verwendet die arabische Sprache die Dreiconsonantengruppe q-t-l. Daraus bildet sie
qatala er tödtet
qutila er wurde getödtet
qutilu sie wurden getödtet
uqtul tödten
qatil tödtend
iqtal Tödtung verursachen
quatl Mord
qitl Feind
qutl mörderisch.
Bei dem Zeitwort verleiht der mittlere Vocal eine transitive oder intransitive Bedeutung, am Vocal der ersten Stammsylbe wird das Activum (a) vom Passivum (u) unterschieden, und am Vocal des letzten Consonanten der Modus, wobei u den Indicativ, a den Conjunctiv ausdrückt, während beim Jussiv, der eine Aufforderung enthält, der Vocal gänzlich wegfällt. Die anderen Wandlungen des Zeitwortes werden durch Präfixe und Suffixe vollzogen, die aber ebenfalls eine Lautwirkung auf die Vocale der Sylben, denen sie
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Der Bau der menschlichen Sprache.
Abschleifung meist bis auf einen einzigen Consonanten ganz un-
kenntlich geworden sind, so dass sie also nur noch zu gramma-
tischen Zwecken dienen.
Eine breite Kluft liegt zwischen den höchst entwickelten der
niederen Sprachen und denen des semitischen und arischen Völker-
kreises. Hier sind die sinnbegrenzenden Lautbestandtheile meistens
fest zusammengeschmolzen mit dem Hauptstamme. Die Wurzel-
haftigkeit ist am Hauptwort und Zeitwort völlig verschwunden,
eine wahre Beugung und eine wahre Wandelung sind vorhanden,
nur werden sie bei den Ariern und Semiten auf ganz verschiedne
Art vollzogen. Die Sprachen Vorderasiens oder die semitischen
sind kenntlich daran, dass ihre Stämme stets drei Consonanten
zeigen, wenn auch oft genug der dritte Consonant dürftig oder
kümmerlich vertreten ist. Vor, nach oder zwischen diese Con-
sonanten werden Vocale eingeschoben, welche die Sinnbegrenzung
vollziehen. Der Consonant ist, wie Steinthal es glücklich aus-
spricht, der Stoff des Gedankens und der Vocal verleiht ihm die
Gestalt. Man könnte auch den ersteren mit dem Marmorblock
vergleichen, den andern mit dem Bildhauer. Ein oft benutztes
Beispiel wird das eben Gesagte erläutern. Für alles, was sich auf
das Vergiessen von Menschenblut bezieht, verwendet die arabische
Sprache die Dreiconsonantengruppe q-t-l. Daraus bildet sie
qatala er tödtet
qutila er wurde getödtet
qutilu sie wurden getödtet
uqtul tödten
qatil tödtend
iqtal Tödtung verursachen
quatl Mord
qitl Feind
qutl mörderisch.
Bei dem Zeitwort verleiht der mittlere Vocal eine transitive oder
intransitive Bedeutung, am Vocal der ersten Stammsylbe wird das
Activum (a) vom Passivum (u) unterschieden, und am Vocal des
letzten Consonanten der Modus, wobei u den Indicativ, a den
Conjunctiv ausdrückt, während beim Jussiv, der eine Aufforderung
enthält, der Vocal gänzlich wegfällt. Die anderen Wandlungen des
Zeitwortes werden durch Präfixe und Suffixe vollzogen, die aber
ebenfalls eine Lautwirkung auf die Vocale der Sylben, denen sie
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/148>, abgerufen am 23.12.2024.
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