Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Bau der menschlichen Sprache.
nach unten, von unten nach oben, in ebner Richtung, mit der
Hand, mit der flachen Hand, mit der Faust, mit einer Keule, mit
einer scharfen Kante, mit einer Fläche, etwas gegen etwas, mit
einem Hammer geschlagen oder etwas wie ein Nagel einge-
schlagen wird.

Ueber den Norden Asiens und Europas in fünf grossen
Gruppen, der tungusischen, mongolischen, türkischen, samo-
jedischen und finnischen hingelagert, finden wir einen
Sprachbau, der sich streng auf Wurzelzusätze (Suffixe) beschränkt.
Mittelst dieser Zusätze wird die grammatische Verrichtung eines
Wortes im Satze schon ziemlich scharf bestimmt. Der Zusatz -sit
bezeichnet eine Person, die mit dem Gegenstand der vorausgehen-
den Wurzel sich beschäftigt. Aus ati Waare bildet der Jakute
ati-sit Kaufmann, aus ayi Schöpfung ayi-sit Schöpfer. Durch An-
fügung von -ir wird eine Thätigkeit bezeichnet und aus tial Wind
wird daher tialir wehen. Dieser Gruppirung von Wurzeln ist keine
Grenze gesetzt, so dass, um an ein oft gebrauchtes Beispiel zu
erinnern, der Osmane den Gedanken: nicht dazu gebracht werden
können sich einander zu lieben, durch die Gruppirung sev-isch-dir-
il-eme
in einem Worte aussprechen kann. Uebrigens gestatten
auch Formsprachen eine ausserordentliche Anhäufung der sinnbe-
grenzenden Lautglieder, z. B. das Englische in folgender Reihe,
true, tru-th, truth-ful, truthful-ness, un-truthfulness. Die Einfach-
heit des suffigirenden Verfahrens und die Aussicht, einen ver-
wickelten Gedanken in einer einzigen Sylbengruppe auszusprechen,
mag anfangs bestechen, dennoch sind diese Sprachen nie dahin ge-
langt, ein Zeitwort zu bilden, sondern sie begnügen sich mit Be-
nennungen der Thätigkeitsträger (Nomina verbi), etwa wie wir
sagen die Mitlebenden (Nomen praesentis), die Verstorbenen (No-
men perfecti), der Gefangene, der Absender 1). Im Türkischen
bedeutet

dog-mak schlagen
dog-ur ein schlagender
dog-ur-um ein schlagender ich = ich schlage
dog-ur-lar schlagende (Schläger) sie = sie schlagen 2).

Die Sprachen der ural-altaischen Völker bereichern uns mit

1) Steinthal, Sprachtypen. S. 193.
2) Whitney, Study of Language. London 1867. p. 319.

Der Bau der menschlichen Sprache.
nach unten, von unten nach oben, in ebner Richtung, mit der
Hand, mit der flachen Hand, mit der Faust, mit einer Keule, mit
einer scharfen Kante, mit einer Fläche, etwas gegen etwas, mit
einem Hammer geschlagen oder etwas wie ein Nagel einge-
schlagen wird.

Ueber den Norden Asiens und Europas in fünf grossen
Gruppen, der tungusischen, mongolischen, türkischen, samo-
jedischen und finnischen hingelagert, finden wir einen
Sprachbau, der sich streng auf Wurzelzusätze (Suffixe) beschränkt.
Mittelst dieser Zusätze wird die grammatische Verrichtung eines
Wortes im Satze schon ziemlich scharf bestimmt. Der Zusatz -sit
bezeichnet eine Person, die mit dem Gegenstand der vorausgehen-
den Wurzel sich beschäftigt. Aus ati Waare bildet der Jakute
ati-sit Kaufmann, aus ayi Schöpfung ayi-sit Schöpfer. Durch An-
fügung von -ir wird eine Thätigkeit bezeichnet und aus tial Wind
wird daher tialir wehen. Dieser Gruppirung von Wurzeln ist keine
Grenze gesetzt, so dass, um an ein oft gebrauchtes Beispiel zu
erinnern, der Osmane den Gedanken: nicht dazu gebracht werden
können sich einander zu lieben, durch die Gruppirung sev-isch-dir-
il-eme
in einem Worte aussprechen kann. Uebrigens gestatten
auch Formsprachen eine ausserordentliche Anhäufung der sinnbe-
grenzenden Lautglieder, z. B. das Englische in folgender Reihe,
true, tru-th, truth-ful, truthful-ness, un-truthfulness. Die Einfach-
heit des suffigirenden Verfahrens und die Aussicht, einen ver-
wickelten Gedanken in einer einzigen Sylbengruppe auszusprechen,
mag anfangs bestechen, dennoch sind diese Sprachen nie dahin ge-
langt, ein Zeitwort zu bilden, sondern sie begnügen sich mit Be-
nennungen der Thätigkeitsträger (Nomina verbi), etwa wie wir
sagen die Mitlebenden (Nomen praesentis), die Verstorbenen (No-
men perfecti), der Gefangene, der Absender 1). Im Türkischen
bedeutet

dog-mak schlagen
dog-ur ein schlagender
dog-ur-um ein schlagender ich = ich schlage
dog-ur-lar schlagende (Schläger) sie = sie schlagen 2).

Die Sprachen der ural-altaischen Völker bereichern uns mit

1) Steinthal, Sprachtypen. S. 193.
2) Whitney, Study of Language. London 1867. p. 319.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0141" n="123"/><fw place="top" type="header">Der Bau der menschlichen Sprache.</fw><lb/>
nach unten, von unten nach oben, in ebner Richtung, mit der<lb/>
Hand, mit der flachen Hand, mit der Faust, mit einer Keule, mit<lb/>
einer scharfen Kante, mit einer Fläche, etwas gegen etwas, mit<lb/>
einem Hammer geschlagen oder etwas wie ein Nagel einge-<lb/>
schlagen wird.</p><lb/>
          <p>Ueber den Norden Asiens und Europas in fünf grossen<lb/>
Gruppen, der tungusischen, mongolischen, türkischen, samo-<lb/>
jedischen und finnischen hingelagert, finden wir einen<lb/>
Sprachbau, der sich streng auf Wurzelzusätze (Suffixe) beschränkt.<lb/>
Mittelst dieser Zusätze wird die grammatische Verrichtung eines<lb/>
Wortes im Satze schon ziemlich scharf bestimmt. Der Zusatz -<hi rendition="#i">sit</hi><lb/>
bezeichnet eine Person, die mit dem Gegenstand der vorausgehen-<lb/>
den Wurzel sich beschäftigt. Aus <hi rendition="#i">ati</hi> Waare bildet der Jakute<lb/><hi rendition="#i">ati-sit</hi> Kaufmann, aus <hi rendition="#i">ayi</hi> Schöpfung <hi rendition="#i">ayi-sit</hi> Schöpfer. Durch An-<lb/>
fügung von -<hi rendition="#i">ir</hi> wird eine Thätigkeit bezeichnet und aus <hi rendition="#i">tial</hi> Wind<lb/>
wird daher <hi rendition="#i">tialir</hi> wehen. Dieser Gruppirung von Wurzeln ist keine<lb/>
Grenze gesetzt, so dass, um an ein oft gebrauchtes Beispiel zu<lb/>
erinnern, der Osmane den Gedanken: nicht dazu gebracht werden<lb/>
können sich einander zu lieben, durch die Gruppirung <hi rendition="#i">sev-isch-dir-<lb/>
il-eme</hi> in einem Worte aussprechen kann. Uebrigens gestatten<lb/>
auch Formsprachen eine ausserordentliche Anhäufung der sinnbe-<lb/>
grenzenden Lautglieder, z. B. das Englische in folgender Reihe,<lb/><hi rendition="#i">true, tru-th, truth-ful, truthful-ness, un-truthfulness</hi>. Die Einfach-<lb/>
heit des suffigirenden Verfahrens und die Aussicht, einen ver-<lb/>
wickelten Gedanken in einer einzigen Sylbengruppe auszusprechen,<lb/>
mag anfangs bestechen, dennoch sind diese Sprachen nie dahin ge-<lb/>
langt, ein Zeitwort zu bilden, sondern sie begnügen sich mit Be-<lb/>
nennungen der Thätigkeitsträger (Nomina verbi), etwa wie wir<lb/>
sagen die Mitlebenden (Nomen praesentis), die Verstorbenen (No-<lb/>
men perfecti), der Gefangene, der Absender <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Steinthal</hi>, Sprachtypen. S. 193.</note>. Im Türkischen<lb/>
bedeutet</p><lb/>
          <list>
            <item><hi rendition="#i">dog-mak</hi> schlagen</item><lb/>
            <item><hi rendition="#i">dog-ur</hi> ein schlagender</item><lb/>
            <item><hi rendition="#i">dog-ur-um</hi> ein schlagender ich = ich schlage</item><lb/>
            <item><hi rendition="#i">dog-ur-lar</hi> schlagende (Schläger) sie = sie schlagen <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Whitney</hi>, Study of Language. London 1867. p. 319.</note>.</item>
          </list><lb/>
          <p>Die Sprachen der ural-altaischen Völker bereichern uns mit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0141] Der Bau der menschlichen Sprache. nach unten, von unten nach oben, in ebner Richtung, mit der Hand, mit der flachen Hand, mit der Faust, mit einer Keule, mit einer scharfen Kante, mit einer Fläche, etwas gegen etwas, mit einem Hammer geschlagen oder etwas wie ein Nagel einge- schlagen wird. Ueber den Norden Asiens und Europas in fünf grossen Gruppen, der tungusischen, mongolischen, türkischen, samo- jedischen und finnischen hingelagert, finden wir einen Sprachbau, der sich streng auf Wurzelzusätze (Suffixe) beschränkt. Mittelst dieser Zusätze wird die grammatische Verrichtung eines Wortes im Satze schon ziemlich scharf bestimmt. Der Zusatz -sit bezeichnet eine Person, die mit dem Gegenstand der vorausgehen- den Wurzel sich beschäftigt. Aus ati Waare bildet der Jakute ati-sit Kaufmann, aus ayi Schöpfung ayi-sit Schöpfer. Durch An- fügung von -ir wird eine Thätigkeit bezeichnet und aus tial Wind wird daher tialir wehen. Dieser Gruppirung von Wurzeln ist keine Grenze gesetzt, so dass, um an ein oft gebrauchtes Beispiel zu erinnern, der Osmane den Gedanken: nicht dazu gebracht werden können sich einander zu lieben, durch die Gruppirung sev-isch-dir- il-eme in einem Worte aussprechen kann. Uebrigens gestatten auch Formsprachen eine ausserordentliche Anhäufung der sinnbe- grenzenden Lautglieder, z. B. das Englische in folgender Reihe, true, tru-th, truth-ful, truthful-ness, un-truthfulness. Die Einfach- heit des suffigirenden Verfahrens und die Aussicht, einen ver- wickelten Gedanken in einer einzigen Sylbengruppe auszusprechen, mag anfangs bestechen, dennoch sind diese Sprachen nie dahin ge- langt, ein Zeitwort zu bilden, sondern sie begnügen sich mit Be- nennungen der Thätigkeitsträger (Nomina verbi), etwa wie wir sagen die Mitlebenden (Nomen praesentis), die Verstorbenen (No- men perfecti), der Gefangene, der Absender 1). Im Türkischen bedeutet dog-mak schlagen dog-ur ein schlagender dog-ur-um ein schlagender ich = ich schlage dog-ur-lar schlagende (Schläger) sie = sie schlagen 2). Die Sprachen der ural-altaischen Völker bereichern uns mit 1) Steinthal, Sprachtypen. S. 193. 2) Whitney, Study of Language. London 1867. p. 319.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/141
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/141>, abgerufen am 23.12.2024.