An Lauten sind die Sprachen verschieden ausgestattet. Den Arabern fehlen die Schnalzlaute der Hottentotten, uns selbst fehlen wieder viele arabische Consonanten, die grösste Armuth aber wird wohl in der Südsee angetroffen. Die Polynesier verfügen nämlich nur über die zehn Consonanten f, k, l, m, n, ng, p, s, t, v, welche wiederum bloss auf Fakaafo und Vaitupu rein und vollständig vor- handen sind 1), während die Bewohner der Tupuai-Gruppe südlich von Tahiti nur acht m, n, ng, p, r, t, v und einen mit ' be- zeichneten Kehllaut festgehalten haben 2). Die gleiche Lautarmuth auf den Sandwichinseln ist durch Verfall entstanden, nichts ursprüng- liches und einfaches, denn andre polynesische Sprachen, die reicher an Consonanten geblieben sind, haben sich desto mehr alterthüm- liche Formen bewahrt. Wird damit die Thatsache verknüpft, dass die Sprache der Buschmänner namentlich wegen ihrer Schnalzlaute zur Verlautbarung den Sprachwerkzeugen die höchsten Anstrengungen auferlegt, so könnte man zu dem Schluss verleitet werden, dass bei den uranfänglichen Sprechversuchen ein grösserer Vorrath an Lauten zur Verwendung gekommen sei 3). Doch gibt es auch Ge- lehrte, die das Gegentheil behaupten 4), so dass eine allgemein giltige Regel vorläufig noch nicht ausgesprochen werden darf.
2. Der Bau der menschlichen Sprache.
Die fremden Sprachen, mit welchen wir Europäer in unsern Schuljahren uns beschäftigen, seien es ältere oder neuere, besitzen alle mehr oder weniger grammatische Formen, mit Hilfe deren den Wurzellauten eine bestimmte Verrichtung im Satze zugewiesen wird. So entsteht die Täuschung, dass jede Sprache nothwendig durch zugefügte Sylben oder Laute deutlich Hauptwort, Fürwort,
1) v. d. Gabelentz, Die melanesischen Sprachen in den Abhandl. der phil. hist. Classe der k. sächs. Gesellschaft der Wissensch. Bd. 3. Leipzig 1861. S. 253.
2)Hale, Ethnogr. p. 142.
3) W. H. J. Bleek, Ueber den Ursprung der Sprache. Weimar 1868. S. 53.
4)Whitney, Language and the study of Language. p. 467. The ten- dency of phonetic change is always towards the increase of the alphabet.
Der Bau der menschlichen Sprache.
An Lauten sind die Sprachen verschieden ausgestattet. Den Arabern fehlen die Schnalzlaute der Hottentotten, uns selbst fehlen wieder viele arabische Consonanten, die grösste Armuth aber wird wohl in der Südsee angetroffen. Die Polynesier verfügen nämlich nur über die zehn Consonanten f, k, l, m, n, ng, p, s, t, v, welche wiederum bloss auf Fakaafo und Vaitupu rein und vollständig vor- handen sind 1), während die Bewohner der Tupuai-Gruppe südlich von Tahiti nur acht m, n, ng, p, r, t, v und einen mit ’ be- zeichneten Kehllaut festgehalten haben 2). Die gleiche Lautarmuth auf den Sandwichinseln ist durch Verfall entstanden, nichts ursprüng- liches und einfaches, denn andre polynesische Sprachen, die reicher an Consonanten geblieben sind, haben sich desto mehr alterthüm- liche Formen bewahrt. Wird damit die Thatsache verknüpft, dass die Sprache der Buschmänner namentlich wegen ihrer Schnalzlaute zur Verlautbarung den Sprachwerkzeugen die höchsten Anstrengungen auferlegt, so könnte man zu dem Schluss verleitet werden, dass bei den uranfänglichen Sprechversuchen ein grösserer Vorrath an Lauten zur Verwendung gekommen sei 3). Doch gibt es auch Ge- lehrte, die das Gegentheil behaupten 4), so dass eine allgemein giltige Regel vorläufig noch nicht ausgesprochen werden darf.
2. Der Bau der menschlichen Sprache.
Die fremden Sprachen, mit welchen wir Europäer in unsern Schuljahren uns beschäftigen, seien es ältere oder neuere, besitzen alle mehr oder weniger grammatische Formen, mit Hilfe deren den Wurzellauten eine bestimmte Verrichtung im Satze zugewiesen wird. So entsteht die Täuschung, dass jede Sprache nothwendig durch zugefügte Sylben oder Laute deutlich Hauptwort, Fürwort,
1) v. d. Gabelentz, Die melanesischen Sprachen in den Abhandl. der phil. hist. Classe der k. sächs. Gesellschaft der Wissensch. Bd. 3. Leipzig 1861. S. 253.
2)Hale, Ethnogr. p. 142.
3) W. H. J. Bleek, Ueber den Ursprung der Sprache. Weimar 1868. S. 53.
4)Whitney, Language and the study of Language. p. 467. The ten- dency of phonetic change is always towards the increase of the alphabet.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0135"n="117"/><fwplace="top"type="header">Der Bau der menschlichen Sprache.</fw><lb/><p>An Lauten sind die Sprachen verschieden ausgestattet. Den<lb/>
Arabern fehlen die Schnalzlaute der Hottentotten, uns selbst fehlen<lb/>
wieder viele arabische Consonanten, die grösste Armuth aber wird<lb/>
wohl in der Südsee angetroffen. Die Polynesier verfügen nämlich<lb/>
nur über die zehn Consonanten f, k, l, m, n, ng, p, s, t, v, welche<lb/>
wiederum bloss auf Fakaafo und Vaitupu rein und vollständig vor-<lb/>
handen sind <noteplace="foot"n="1)">v. d. <hirendition="#g">Gabelentz</hi>, Die melanesischen Sprachen in den Abhandl. der<lb/>
phil. hist. Classe der k. sächs. Gesellschaft der Wissensch. Bd. 3. Leipzig<lb/>
1861. S. 253.</note>, während die Bewohner der Tupuai-Gruppe südlich<lb/>
von Tahiti nur acht m, n, ng, p, r, t, v und einen mit ’ be-<lb/>
zeichneten Kehllaut festgehalten haben <noteplace="foot"n="2)"><hirendition="#g">Hale</hi>, Ethnogr. p. 142.</note>. Die gleiche Lautarmuth<lb/>
auf den Sandwichinseln ist durch Verfall entstanden, nichts ursprüng-<lb/>
liches und einfaches, denn andre polynesische Sprachen, die reicher<lb/>
an Consonanten geblieben sind, haben sich desto mehr alterthüm-<lb/>
liche Formen bewahrt. Wird damit die Thatsache verknüpft, dass die<lb/>
Sprache der Buschmänner namentlich wegen ihrer Schnalzlaute zur<lb/>
Verlautbarung den Sprachwerkzeugen die höchsten Anstrengungen<lb/>
auferlegt, so könnte man zu dem Schluss verleitet werden, dass<lb/>
bei den uranfänglichen Sprechversuchen ein grösserer Vorrath an<lb/>
Lauten zur Verwendung gekommen sei <noteplace="foot"n="3)">W. H. J. <hirendition="#g">Bleek</hi>, Ueber den Ursprung der Sprache. Weimar 1868.<lb/>
S. 53.</note>. Doch gibt es auch Ge-<lb/>
lehrte, die das Gegentheil behaupten <noteplace="foot"n="4)"><hirendition="#g">Whitney</hi>, Language and the study of Language. p. 467. The ten-<lb/>
dency of phonetic change is always towards the increase of the alphabet.</note>, so dass eine allgemein<lb/>
giltige Regel vorläufig noch nicht ausgesprochen werden darf.</p></div><lb/><divn="2"><head>2. <hirendition="#g">Der Bau der menschlichen Sprache</hi>.</head><lb/><p>Die fremden Sprachen, mit welchen wir Europäer in unsern<lb/>
Schuljahren uns beschäftigen, seien es ältere oder neuere, besitzen<lb/>
alle mehr oder weniger grammatische Formen, mit Hilfe deren den<lb/>
Wurzellauten eine bestimmte Verrichtung im Satze zugewiesen<lb/>
wird. So entsteht die Täuschung, dass jede Sprache nothwendig<lb/>
durch zugefügte Sylben oder Laute deutlich Hauptwort, Fürwort,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[117/0135]
Der Bau der menschlichen Sprache.
An Lauten sind die Sprachen verschieden ausgestattet. Den
Arabern fehlen die Schnalzlaute der Hottentotten, uns selbst fehlen
wieder viele arabische Consonanten, die grösste Armuth aber wird
wohl in der Südsee angetroffen. Die Polynesier verfügen nämlich
nur über die zehn Consonanten f, k, l, m, n, ng, p, s, t, v, welche
wiederum bloss auf Fakaafo und Vaitupu rein und vollständig vor-
handen sind 1), während die Bewohner der Tupuai-Gruppe südlich
von Tahiti nur acht m, n, ng, p, r, t, v und einen mit ’ be-
zeichneten Kehllaut festgehalten haben 2). Die gleiche Lautarmuth
auf den Sandwichinseln ist durch Verfall entstanden, nichts ursprüng-
liches und einfaches, denn andre polynesische Sprachen, die reicher
an Consonanten geblieben sind, haben sich desto mehr alterthüm-
liche Formen bewahrt. Wird damit die Thatsache verknüpft, dass die
Sprache der Buschmänner namentlich wegen ihrer Schnalzlaute zur
Verlautbarung den Sprachwerkzeugen die höchsten Anstrengungen
auferlegt, so könnte man zu dem Schluss verleitet werden, dass
bei den uranfänglichen Sprechversuchen ein grösserer Vorrath an
Lauten zur Verwendung gekommen sei 3). Doch gibt es auch Ge-
lehrte, die das Gegentheil behaupten 4), so dass eine allgemein
giltige Regel vorläufig noch nicht ausgesprochen werden darf.
2. Der Bau der menschlichen Sprache.
Die fremden Sprachen, mit welchen wir Europäer in unsern
Schuljahren uns beschäftigen, seien es ältere oder neuere, besitzen
alle mehr oder weniger grammatische Formen, mit Hilfe deren den
Wurzellauten eine bestimmte Verrichtung im Satze zugewiesen
wird. So entsteht die Täuschung, dass jede Sprache nothwendig
durch zugefügte Sylben oder Laute deutlich Hauptwort, Fürwort,
1) v. d. Gabelentz, Die melanesischen Sprachen in den Abhandl. der
phil. hist. Classe der k. sächs. Gesellschaft der Wissensch. Bd. 3. Leipzig
1861. S. 253.
2) Hale, Ethnogr. p. 142.
3) W. H. J. Bleek, Ueber den Ursprung der Sprache. Weimar 1868.
S. 53.
4) Whitney, Language and the study of Language. p. 467. The ten-
dency of phonetic change is always towards the increase of the alphabet.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/135>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.