Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Entwickelungsgeschichte der menschlichen Sprache.
stand, denn aus rouler hätte beim Uebergang in unsre Sprache
ein Wort entstehen müssen, welches etwa ruhlen lautete. Dass
nun aus ruhlen rollen gebildet wurde, verräth uns ein Bemühen,
dem Worte durch eine Lautveränderung onomatopoetische Kraft
und damit eine grössere Verständlichkeit zu geben. Wie die
Geologen aber nun schliessen, dass die gegenwärtig an und in
unsern Planeten sich vollziehenden Gestaltenwechsel von Anfang an
in gleicher Art sich vollzogen haben, so können auch wir aus der
bis in die Neuzeit unverminderten Lust zur Lautschilderung mit
Recht vermuthen, dass derselbe Hang auch bei den ersten Anfängen
der Sprachbildung sich geregt haben müsse. Diese Erklärung hat
Max Müller auf schnippische Weise abzufertigen gesucht, indem
er sie eine Bau-wau-Theorie nannte, weil bei den ersten Sprach-
schöpfungen die Kuh Muh und der Hund etwa Bauwau in Nach-
ahmung ihres Brüllens und Bellens genannt worden seien. Er
selbst aber sucht den Vorgang ins Mystische hinüberzuspielen. Jeder
Körper, meint er, habe seinen besondern Klang, wie Glas und
Glocken und so habe auch der Gedanke die Sprachwerkzeuge
gleichsam zu den angemessenen Schwingungen genöthigt. Mit
Anspielung auf den Glockenton ist daher Max Müllers Erklärung
als Bimbaumtheorie (ding-dong) von anderen wieder verspottet
worden. In neuerer Zeit neigt man sich der älteren Auffassung
mit Vorliebe zu. Als der Sprachforscher A. Pott über die
örtlich verschiednen Ausdrücke für Donner eine linguistische Heer-
schau in allen Welttheilen hielt, ergab sich am Schlusse, dass die
Mehrheit der Völker den Eindruck jener Schallerscheinung durch
einen Nachhall im Ausdruck wieder zu geben versuche1). An
andern Beispielen hat Tylor gezeigt, dass Menschenstämme in weit
abgelegenen Erdräumen dieselben Lautgruppen für geräuschvolle
Bewegungen gebrauchen. Das Hervorbrechen stark gespannter
Luftarten, alles was heftig geblasen wird, bezeichnen Malayen,
Australier, Afrikaner, Asiaten und Europäer mit Lauten, die pu
und puff sehr nahe kommen. Auch der Name für das Rind
bous, bos, bou, bo findet sich bei Hottentotten und Chinesen wieder2).
Ferner darf nicht übersehen werden, dass unsre Kinder bei ihren
ersten Sprechversuchen einen gehörten Schall mit ihren Stimm-

1) Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1865.
Bd. 3. S. 359.
2) Anfänge der Cultur. Bd. 1. S. 202--210.

Die Entwickelungsgeschichte der menschlichen Sprache.
stand, denn aus rouler hätte beim Uebergang in unsre Sprache
ein Wort entstehen müssen, welches etwa ruhlen lautete. Dass
nun aus ruhlen rollen gebildet wurde, verräth uns ein Bemühen,
dem Worte durch eine Lautveränderung onomatopoetische Kraft
und damit eine grössere Verständlichkeit zu geben. Wie die
Geologen aber nun schliessen, dass die gegenwärtig an und in
unsern Planeten sich vollziehenden Gestaltenwechsel von Anfang an
in gleicher Art sich vollzogen haben, so können auch wir aus der
bis in die Neuzeit unverminderten Lust zur Lautschilderung mit
Recht vermuthen, dass derselbe Hang auch bei den ersten Anfängen
der Sprachbildung sich geregt haben müsse. Diese Erklärung hat
Max Müller auf schnippische Weise abzufertigen gesucht, indem
er sie eine Bau-wau-Theorie nannte, weil bei den ersten Sprach-
schöpfungen die Kuh Muh und der Hund etwa Bauwau in Nach-
ahmung ihres Brüllens und Bellens genannt worden seien. Er
selbst aber sucht den Vorgang ins Mystische hinüberzuspielen. Jeder
Körper, meint er, habe seinen besondern Klang, wie Glas und
Glocken und so habe auch der Gedanke die Sprachwerkzeuge
gleichsam zu den angemessenen Schwingungen genöthigt. Mit
Anspielung auf den Glockenton ist daher Max Müllers Erklärung
als Bimbaumtheorie (ding-dong) von anderen wieder verspottet
worden. In neuerer Zeit neigt man sich der älteren Auffassung
mit Vorliebe zu. Als der Sprachforscher A. Pott über die
örtlich verschiednen Ausdrücke für Donner eine linguistische Heer-
schau in allen Welttheilen hielt, ergab sich am Schlusse, dass die
Mehrheit der Völker den Eindruck jener Schallerscheinung durch
einen Nachhall im Ausdruck wieder zu geben versuche1). An
andern Beispielen hat Tylor gezeigt, dass Menschenstämme in weit
abgelegenen Erdräumen dieselben Lautgruppen für geräuschvolle
Bewegungen gebrauchen. Das Hervorbrechen stark gespannter
Luftarten, alles was heftig geblasen wird, bezeichnen Malayen,
Australier, Afrikaner, Asiaten und Europäer mit Lauten, die pu
und puff sehr nahe kommen. Auch der Name für das Rind
βοῦς, bos, bou, bo findet sich bei Hottentotten und Chinesen wieder2).
Ferner darf nicht übersehen werden, dass unsre Kinder bei ihren
ersten Sprechversuchen einen gehörten Schall mit ihren Stimm-

1) Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1865.
Bd. 3. S. 359.
2) Anfänge der Cultur. Bd. 1. S. 202—210.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0127" n="109"/><fw place="top" type="header">Die Entwickelungsgeschichte der menschlichen Sprache.</fw><lb/>
stand, denn aus <hi rendition="#i">rouler</hi> hätte beim Uebergang in unsre Sprache<lb/>
ein Wort entstehen müssen, welches etwa <hi rendition="#i">ruhlen</hi> lautete. Dass<lb/>
nun aus <hi rendition="#i">ruhlen rollen</hi> gebildet wurde, verräth uns ein Bemühen,<lb/>
dem Worte durch eine Lautveränderung onomatopoetische Kraft<lb/>
und damit eine grössere Verständlichkeit zu geben. Wie die<lb/>
Geologen aber nun schliessen, dass die gegenwärtig an und in<lb/>
unsern Planeten sich vollziehenden Gestaltenwechsel von Anfang an<lb/>
in gleicher Art sich vollzogen haben, so können auch wir aus der<lb/>
bis in die Neuzeit unverminderten Lust zur Lautschilderung mit<lb/>
Recht vermuthen, dass derselbe Hang auch bei den ersten Anfängen<lb/>
der <choice><sic>Sprachbilduug</sic><corr>Sprachbildung</corr></choice> sich geregt haben müsse. Diese Erklärung hat<lb/>
Max Müller auf schnippische Weise abzufertigen gesucht, indem<lb/>
er sie eine Bau-wau-Theorie nannte, weil bei den ersten Sprach-<lb/>
schöpfungen die Kuh <hi rendition="#i">Muh</hi> und der Hund etwa <hi rendition="#i">Bauwau</hi> in Nach-<lb/>
ahmung ihres Brüllens und Bellens genannt worden seien. Er<lb/>
selbst aber sucht den Vorgang ins Mystische hinüberzuspielen. Jeder<lb/>
Körper, meint er, habe seinen besondern Klang, wie Glas und<lb/>
Glocken und so habe auch der Gedanke die Sprachwerkzeuge<lb/>
gleichsam zu den angemessenen Schwingungen genöthigt. Mit<lb/>
Anspielung auf den Glockenton ist daher Max Müllers Erklärung<lb/>
als Bimbaumtheorie (ding-dong) von anderen wieder verspottet<lb/>
worden. In neuerer Zeit neigt man sich der älteren Auffassung<lb/>
mit Vorliebe zu. Als der Sprachforscher A. Pott über die<lb/>
örtlich verschiednen Ausdrücke für Donner eine linguistische Heer-<lb/>
schau in allen Welttheilen hielt, ergab sich am Schlusse, dass die<lb/>
Mehrheit der Völker den Eindruck jener Schallerscheinung durch<lb/>
einen Nachhall im Ausdruck wieder zu geben versuche<note place="foot" n="1)">Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1865.<lb/>
Bd. 3. S. 359.</note>. An<lb/>
andern Beispielen hat Tylor gezeigt, dass Menschenstämme in weit<lb/>
abgelegenen Erdräumen dieselben Lautgruppen für geräuschvolle<lb/>
Bewegungen gebrauchen. Das Hervorbrechen stark gespannter<lb/>
Luftarten, alles was heftig geblasen wird, bezeichnen Malayen,<lb/>
Australier, Afrikaner, Asiaten und Europäer mit Lauten, die <hi rendition="#i">pu</hi><lb/>
und <hi rendition="#i">puff</hi> sehr nahe kommen. Auch der Name für das Rind<lb/><hi rendition="#i">&#x03B2;&#x03BF;&#x1FE6;&#x03C2;, bos, bou, bo</hi> findet sich bei Hottentotten und Chinesen wieder<note place="foot" n="2)">Anfänge der Cultur. Bd. 1. S. 202&#x2014;210.</note>.<lb/>
Ferner darf nicht übersehen werden, dass unsre Kinder bei ihren<lb/>
ersten Sprechversuchen einen gehörten Schall mit ihren Stimm-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0127] Die Entwickelungsgeschichte der menschlichen Sprache. stand, denn aus rouler hätte beim Uebergang in unsre Sprache ein Wort entstehen müssen, welches etwa ruhlen lautete. Dass nun aus ruhlen rollen gebildet wurde, verräth uns ein Bemühen, dem Worte durch eine Lautveränderung onomatopoetische Kraft und damit eine grössere Verständlichkeit zu geben. Wie die Geologen aber nun schliessen, dass die gegenwärtig an und in unsern Planeten sich vollziehenden Gestaltenwechsel von Anfang an in gleicher Art sich vollzogen haben, so können auch wir aus der bis in die Neuzeit unverminderten Lust zur Lautschilderung mit Recht vermuthen, dass derselbe Hang auch bei den ersten Anfängen der Sprachbildung sich geregt haben müsse. Diese Erklärung hat Max Müller auf schnippische Weise abzufertigen gesucht, indem er sie eine Bau-wau-Theorie nannte, weil bei den ersten Sprach- schöpfungen die Kuh Muh und der Hund etwa Bauwau in Nach- ahmung ihres Brüllens und Bellens genannt worden seien. Er selbst aber sucht den Vorgang ins Mystische hinüberzuspielen. Jeder Körper, meint er, habe seinen besondern Klang, wie Glas und Glocken und so habe auch der Gedanke die Sprachwerkzeuge gleichsam zu den angemessenen Schwingungen genöthigt. Mit Anspielung auf den Glockenton ist daher Max Müllers Erklärung als Bimbaumtheorie (ding-dong) von anderen wieder verspottet worden. In neuerer Zeit neigt man sich der älteren Auffassung mit Vorliebe zu. Als der Sprachforscher A. Pott über die örtlich verschiednen Ausdrücke für Donner eine linguistische Heer- schau in allen Welttheilen hielt, ergab sich am Schlusse, dass die Mehrheit der Völker den Eindruck jener Schallerscheinung durch einen Nachhall im Ausdruck wieder zu geben versuche 1). An andern Beispielen hat Tylor gezeigt, dass Menschenstämme in weit abgelegenen Erdräumen dieselben Lautgruppen für geräuschvolle Bewegungen gebrauchen. Das Hervorbrechen stark gespannter Luftarten, alles was heftig geblasen wird, bezeichnen Malayen, Australier, Afrikaner, Asiaten und Europäer mit Lauten, die pu und puff sehr nahe kommen. Auch der Name für das Rind βοῦς, bos, bou, bo findet sich bei Hottentotten und Chinesen wieder 2). Ferner darf nicht übersehen werden, dass unsre Kinder bei ihren ersten Sprechversuchen einen gehörten Schall mit ihren Stimm- 1) Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1865. Bd. 3. S. 359. 2) Anfänge der Cultur. Bd. 1. S. 202—210.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/127
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/127>, abgerufen am 23.12.2024.