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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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Schoppe aus der Fürstengruft geholet und an
das Mutterbild, das er unter dem Okularglas
hatte finden sollen. Eh' er anfieng zu lesen,
legt' er das Bild unter dem Glase dem Frem¬
den vor, ob er's etwan zufällig kenne. "Sehr!
Es ist die verstorbene Fürstin, Eleonore, so weit
ein Kupferstich vor dem Landes-Gesangbuch
Ähnlichkeiten vorauszusetzen verstattet; denn sie
selber sah ich nie."

Bewegt zog Albano das Papier aus der
zerbrochnen Marmorkapsel, aber er wurd' es
noch mehr, da er die Unterschrift "Eleonore"
und Folgendes in französischer Sprache las:

"Mein Sohn!

Heute hab' ich Dich nach langen Zeiten
wieder gesehen *) in Deinem B. (Blumenbühl);
mein Herz ist voll Freude und Sorge und Dein
schönes Bild schwebet vor meinen weinenden
Augen. Warum darf ich Dich nicht um mich
haben und täglich anblicken? Wie bin ich ge¬
bunden und geängstigt! Aber von jeher schmie¬
dete ich mir Fesseln und erbat andere, mich da¬

*) S. 245 im I. Band des Titans.

Schoppe aus der Fürſtengruft geholet und an
das Mutterbild, das er unter dem Okularglas
hatte finden ſollen. Eh' er anfieng zu leſen,
legt' er das Bild unter dem Glaſe dem Frem¬
den vor, ob er's etwan zufällig kenne. „Sehr!
Es iſt die verſtorbene Fürſtin, Eleonore, ſo weit
ein Kupferſtich vor dem Landes-Geſangbuch
Ähnlichkeiten vorauszuſetzen verſtattet; denn ſie
ſelber ſah ich nie.“

Bewegt zog Albano das Papier aus der
zerbrochnen Marmorkapſel, aber er wurd' es
noch mehr, da er die Unterſchrift „Eleonore“
und Folgendes in franzöſiſcher Sprache las:

„Mein Sohn!

Heute hab' ich Dich nach langen Zeiten
wieder geſehen *) in Deinem B. (Blumenbühl);
mein Herz iſt voll Freude und Sorge und Dein
ſchönes Bild ſchwebet vor meinen weinenden
Augen. Warum darf ich Dich nicht um mich
haben und täglich anblicken? Wie bin ich ge¬
bunden und geängſtigt! Aber von jeher ſchmie¬
dete ich mir Feſſeln und erbat andere, mich da¬

*) S. 245 im I. Band des Titans.
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[524/0536] Schoppe aus der Fürſtengruft geholet und an das Mutterbild, das er unter dem Okularglas hatte finden ſollen. Eh' er anfieng zu leſen, legt' er das Bild unter dem Glaſe dem Frem¬ den vor, ob er's etwan zufällig kenne. „Sehr! Es iſt die verſtorbene Fürſtin, Eleonore, ſo weit ein Kupferſtich vor dem Landes-Geſangbuch Ähnlichkeiten vorauszuſetzen verſtattet; denn ſie ſelber ſah ich nie.“ Bewegt zog Albano das Papier aus der zerbrochnen Marmorkapſel, aber er wurd' es noch mehr, da er die Unterſchrift „Eleonore“ und Folgendes in franzöſiſcher Sprache las: „Mein Sohn! Heute hab' ich Dich nach langen Zeiten wieder geſehen *) in Deinem B. (Blumenbühl); mein Herz iſt voll Freude und Sorge und Dein ſchönes Bild ſchwebet vor meinen weinenden Augen. Warum darf ich Dich nicht um mich haben und täglich anblicken? Wie bin ich ge¬ bunden und geängſtigt! Aber von jeher ſchmie¬ dete ich mir Feſſeln und erbat andere, mich da¬ *) S. 245 im I. Band des Titans.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/536>, abgerufen am 22.11.2024.