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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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röthe gewandt; lange schauete er an der seit¬
wärts gekehrten Gestalt die himmlisch-herab¬
steigende Antlitz-Linie an, womit Liane so oft
als eine Heilige unbewußt neben ihm gestan¬
den -- noch glaubt' er, ein Traum, der Pro¬
teus der menschlichen Vergangenheit, ziehe das
Luftbild aus dem Himmel hernieder und spiel'
es vor und er erwartete das Vergehen. Es
blieb, aber ruhig und stumm. Hinknieend, wie
vor der offnen Pforte des weiten langen Him¬
mels voll Verklärung und Gottheit, und auf¬
gerissen aus den Erden-Thälern, rief er aus:
"Erscheinung, kommst Du von Gott, bist Du
Liane?" und ihm war als sterb' er.

Schnell blickte die weisse Gestalt sich um
und sah den Jüngling, sie stand langsam auf
und sagte: "ich heisse Idoine, ich bin unschul¬
dig an der harten Täuschung, sehr unglückli¬
cher Jüngling." -- Da bedeckte er seine Au¬
gen, aus schnellem Schmerz über die Wieder¬
kehr der schweren kalten Wirklichkeit. Darauf
sah er die schöne Jungfrau wieder an und sein
ganzes Wesen zitterte vor ihrer verklärten Ähn¬
lichkeit mit der Todten, so lächelte sonst Lianens

röthe gewandt; lange ſchauete er an der ſeit¬
wärts gekehrten Geſtalt die himmliſch-herab¬
ſteigende Antlitz-Linie an, womit Liane ſo oft
als eine Heilige unbewußt neben ihm geſtan¬
den — noch glaubt' er, ein Traum, der Pro¬
teus der menſchlichen Vergangenheit, ziehe das
Luftbild aus dem Himmel hernieder und ſpiel'
es vor und er erwartete das Vergehen. Es
blieb, aber ruhig und ſtumm. Hinknieend, wie
vor der offnen Pforte des weiten langen Him¬
mels voll Verklärung und Gottheit, und auf¬
geriſſen aus den Erden-Thälern, rief er aus:
„Erſcheinung, kommſt Du von Gott, biſt Du
Liane?“ und ihm war als ſterb' er.

Schnell blickte die weiſſe Geſtalt ſich um
und ſah den Jüngling, ſie ſtand langſam auf
und ſagte: „ich heiſſe Idoine, ich bin unſchul¬
dig an der harten Täuſchung, ſehr unglückli¬
cher Jüngling.“ — Da bedeckte er ſeine Au¬
gen, aus ſchnellem Schmerz über die Wieder¬
kehr der ſchweren kalten Wirklichkeit. Darauf
ſah er die ſchöne Jungfrau wieder an und ſein
ganzes Weſen zitterte vor ihrer verklärten Ähn¬
lichkeit mit der Todten, ſo lächelte ſonſt Lianens

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[489/0501] röthe gewandt; lange ſchauete er an der ſeit¬ wärts gekehrten Geſtalt die himmliſch-herab¬ ſteigende Antlitz-Linie an, womit Liane ſo oft als eine Heilige unbewußt neben ihm geſtan¬ den — noch glaubt' er, ein Traum, der Pro¬ teus der menſchlichen Vergangenheit, ziehe das Luftbild aus dem Himmel hernieder und ſpiel' es vor und er erwartete das Vergehen. Es blieb, aber ruhig und ſtumm. Hinknieend, wie vor der offnen Pforte des weiten langen Him¬ mels voll Verklärung und Gottheit, und auf¬ geriſſen aus den Erden-Thälern, rief er aus: „Erſcheinung, kommſt Du von Gott, biſt Du Liane?“ und ihm war als ſterb' er. Schnell blickte die weiſſe Geſtalt ſich um und ſah den Jüngling, ſie ſtand langſam auf und ſagte: „ich heiſſe Idoine, ich bin unſchul¬ dig an der harten Täuſchung, ſehr unglückli¬ cher Jüngling.“ — Da bedeckte er ſeine Au¬ gen, aus ſchnellem Schmerz über die Wieder¬ kehr der ſchweren kalten Wirklichkeit. Darauf ſah er die ſchöne Jungfrau wieder an und ſein ganzes Weſen zitterte vor ihrer verklärten Ähn¬ lichkeit mit der Todten, ſo lächelte ſonſt Lianens

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/501>, abgerufen am 22.11.2024.