Seine Nächte waren ohne Schlaf, aber die Träume giengen nackt und keck um ihn. Albano opferte ihm leicht seine gesunden Näch¬ te, konnt' aber doch nicht alle Träume des Freundes, diese Gespenster, die sonst vor Le¬ bendigen entfliegen und einsinken, von dannen treiben. Sie schlichen und blickten in Winkel- Schatten der Stube. -- Einst gegen Mitter¬ nacht war Albano hinausgegangen und traf wiederkommend ihn an, wie er eben mit einer Hand die andere fieng und sagte: "wen hab' ich da, Mensch?" -- "O guter, bester Schop¬ pe, (rief Albano halbzürnend,) solche grund¬ lose Spiele! Eben so gut könnte ein Finger den andern fassen!" -- "Ja freilich," versetzt' er. "Aber höre (sagt' er leise, und kauerte sich, bückte den Kopf und wies mit dem rech¬ len Zeigefinger über die Nase hin in die Höhe), Du nanntest mich Schoppe -- so heiß' ich nicht, aber ich darf meinen Nahmen nicht ausspre¬ chen, der Ich, der mich so lange sucht, hört's und fährt her -- Ein langer Leichenstein liegt auf dem Nahmen. Schoppe oder Scioppius konnt' ich mich sehr wohl nennen, weil mein
Seine Nächte waren ohne Schlaf, aber die Träume giengen nackt und keck um ihn. Albano opferte ihm leicht ſeine geſunden Näch¬ te, konnt' aber doch nicht alle Träume des Freundes, dieſe Geſpenſter, die ſonſt vor Le¬ bendigen entfliegen und einſinken, von dannen treiben. Sie ſchlichen und blickten in Winkel- Schatten der Stube. — Einſt gegen Mitter¬ nacht war Albano hinausgegangen und traf wiederkommend ihn an, wie er eben mit einer Hand die andere fieng und ſagte: „wen hab' ich da, Menſch?“ — „O guter, beſter Schop¬ pe, (rief Albano halbzürnend,) ſolche grund¬ loſe Spiele! Eben ſo gut könnte ein Finger den andern faſſen!“ — „Ja freilich,“ verſetzt' er. „Aber höre (ſagt' er leiſe, und kauerte ſich, bückte den Kopf und wies mit dem rech¬ len Zeigefinger über die Naſe hin in die Höhe), Du nannteſt mich Schoppe — ſo heiß' ich nicht, aber ich darf meinen Nahmen nicht ausſpre¬ chen, der Ich, der mich ſo lange ſucht, hört's und fährt her — Ein langer Leichenſtein liegt auf dem Nahmen. Schoppe oder Scioppius konnt' ich mich ſehr wohl nennen, weil mein
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0484"n="472"/><p>Seine Nächte waren ohne Schlaf, aber<lb/>
die Träume giengen nackt und keck um ihn.<lb/>
Albano opferte ihm leicht ſeine geſunden Näch¬<lb/>
te, konnt' aber doch nicht alle Träume des<lb/>
Freundes, dieſe Geſpenſter, die ſonſt vor Le¬<lb/>
bendigen entfliegen und einſinken, von dannen<lb/>
treiben. Sie ſchlichen und blickten in Winkel-<lb/>
Schatten der Stube. — Einſt gegen Mitter¬<lb/>
nacht war Albano hinausgegangen und traf<lb/>
wiederkommend ihn an, wie er eben mit einer<lb/>
Hand die andere fieng und ſagte: „wen hab'<lb/>
ich da, Menſch?“—„O guter, beſter Schop¬<lb/>
pe, (rief Albano halbzürnend,) ſolche grund¬<lb/>
loſe Spiele! Eben ſo gut könnte ein Finger<lb/>
den andern faſſen!“—„Ja freilich,“ verſetzt'<lb/>
er. „Aber höre (ſagt' er leiſe, und kauerte<lb/>ſich, bückte den Kopf und wies mit dem rech¬<lb/>
len Zeigefinger über die Naſe hin in die Höhe),<lb/>
Du nannteſt mich Schoppe —ſo heiß' ich nicht,<lb/>
aber ich darf meinen Nahmen nicht ausſpre¬<lb/>
chen, der Ich, der mich ſo lange ſucht, hört's<lb/>
und fährt her — Ein langer Leichenſtein liegt<lb/>
auf dem Nahmen. Schoppe oder <hirendition="#aq">Scioppius</hi><lb/>
konnt' ich mich ſehr wohl nennen, weil mein<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[472/0484]
Seine Nächte waren ohne Schlaf, aber
die Träume giengen nackt und keck um ihn.
Albano opferte ihm leicht ſeine geſunden Näch¬
te, konnt' aber doch nicht alle Träume des
Freundes, dieſe Geſpenſter, die ſonſt vor Le¬
bendigen entfliegen und einſinken, von dannen
treiben. Sie ſchlichen und blickten in Winkel-
Schatten der Stube. — Einſt gegen Mitter¬
nacht war Albano hinausgegangen und traf
wiederkommend ihn an, wie er eben mit einer
Hand die andere fieng und ſagte: „wen hab'
ich da, Menſch?“ — „O guter, beſter Schop¬
pe, (rief Albano halbzürnend,) ſolche grund¬
loſe Spiele! Eben ſo gut könnte ein Finger
den andern faſſen!“ — „Ja freilich,“ verſetzt'
er. „Aber höre (ſagt' er leiſe, und kauerte
ſich, bückte den Kopf und wies mit dem rech¬
len Zeigefinger über die Naſe hin in die Höhe),
Du nannteſt mich Schoppe — ſo heiß' ich nicht,
aber ich darf meinen Nahmen nicht ausſpre¬
chen, der Ich, der mich ſo lange ſucht, hört's
und fährt her — Ein langer Leichenſtein liegt
auf dem Nahmen. Schoppe oder Scioppius
konnt' ich mich ſehr wohl nennen, weil mein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/484>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.