die vergangne Lage, worin ers begieng, indeß er es in einer frischen wieder neu und süß fin¬ det und fortliebt. -- Was dort kalt liegt, das ist mein Bild (indem er auf die Sphinx zeigte), das bewegt sich lebendig in meiner blutigen Brust -- hilf mir, ziehe das reissende Unthier heraus!" --
Albano ergrimmte im Innersten über die frevelnde Wiederholung jener bekennenden zärt¬ lichen Nacht mit ihm*). "Er ist frech genug (sagte leise Gaspard zu Albano), weil er, wie ich höre, wirklich sich selber spielen soll; aber da er sich so sieht, ist er doch besser als er sich sieht." -- "O (sagte Albano), so dacht' ich sonst! Aber ist denn das Schauen auf den schlechten Zustand ein guter? Ist er nicht de¬ sto schlechter, daß er dieses Bewußtseyn erträgt und wird desto schwächer, daß er einen unheil¬ baren Krebsschaden an sich wachsen sieht? Das Höchste hat er ohnehin verlohren, die Un¬ schuld." -- "Eine flüchtige Wiegen-Tugend! -- Ein helles, keckes Reflektiren hat er doch"
*) Titan II. Seite 30 etc.
die vergangne Lage, worin ers begieng, indeß er es in einer friſchen wieder neu und ſüß fin¬ det und fortliebt. — Was dort kalt liegt, das iſt mein Bild (indem er auf die Sphinx zeigte), das bewegt ſich lebendig in meiner blutigen Bruſt — hilf mir, ziehe das reiſſende Unthier heraus!“ —
Albano ergrimmte im Innerſten über die frevelnde Wiederholung jener bekennenden zärt¬ lichen Nacht mit ihm*). „Er iſt frech genug (ſagte leiſe Gaſpard zu Albano), weil er, wie ich höre, wirklich ſich ſelber ſpielen ſoll; aber da er ſich ſo ſieht, iſt er doch beſſer als er ſich ſieht.“ — „O (ſagte Albano), ſo dacht' ich ſonſt! Aber iſt denn das Schauen auf den ſchlechten Zuſtand ein guter? Iſt er nicht de¬ ſto ſchlechter, daß er dieſes Bewußtſeyn erträgt und wird deſto ſchwächer, daß er einen unheil¬ baren Krebsſchaden an ſich wachſen ſieht? Das Höchſte hat er ohnehin verlohren, die Un¬ ſchuld.“ — „Eine flüchtige Wiegen-Tugend! — Ein helles, keckes Reflektiren hat er doch“
*) Titan II. Seite 30 ꝛc.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0409"n="397"/>
die vergangne Lage, worin ers begieng, indeß<lb/>
er es in einer friſchen wieder neu und ſüß fin¬<lb/>
det und fortliebt. — Was dort kalt liegt,<lb/>
das iſt mein Bild (indem er auf die Sphinx<lb/>
zeigte), das bewegt ſich lebendig in meiner<lb/>
blutigen Bruſt — hilf mir, ziehe das reiſſende<lb/>
Unthier heraus!“—</p><lb/><p>Albano ergrimmte im Innerſten über die<lb/>
frevelnde Wiederholung jener bekennenden zärt¬<lb/>
lichen Nacht mit ihm<noteplace="foot"n="*)"><lb/>
Titan <hirendition="#aq">II</hi>. Seite 30 ꝛc.</note>. „Er iſt frech genug<lb/>
(ſagte leiſe Gaſpard zu Albano), weil er, wie<lb/>
ich höre, wirklich ſich ſelber ſpielen ſoll; aber<lb/>
da er ſich ſo ſieht, iſt er doch beſſer als er ſich<lb/>ſieht.“—„O (ſagte Albano), ſo dacht' ich<lb/>ſonſt! Aber iſt denn das Schauen auf den<lb/>ſchlechten Zuſtand ein guter? Iſt er nicht de¬<lb/>ſto ſchlechter, daß er dieſes Bewußtſeyn erträgt<lb/>
und wird deſto ſchwächer, daß er einen unheil¬<lb/>
baren Krebsſchaden an ſich wachſen ſieht? Das<lb/>
Höchſte hat er ohnehin verlohren, die Un¬<lb/>ſchuld.“—„Eine flüchtige Wiegen-Tugend!<lb/>— Ein helles, keckes Reflektiren hat er doch“<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[397/0409]
die vergangne Lage, worin ers begieng, indeß
er es in einer friſchen wieder neu und ſüß fin¬
det und fortliebt. — Was dort kalt liegt,
das iſt mein Bild (indem er auf die Sphinx
zeigte), das bewegt ſich lebendig in meiner
blutigen Bruſt — hilf mir, ziehe das reiſſende
Unthier heraus!“ —
Albano ergrimmte im Innerſten über die
frevelnde Wiederholung jener bekennenden zärt¬
lichen Nacht mit ihm *). „Er iſt frech genug
(ſagte leiſe Gaſpard zu Albano), weil er, wie
ich höre, wirklich ſich ſelber ſpielen ſoll; aber
da er ſich ſo ſieht, iſt er doch beſſer als er ſich
ſieht.“ — „O (ſagte Albano), ſo dacht' ich
ſonſt! Aber iſt denn das Schauen auf den
ſchlechten Zuſtand ein guter? Iſt er nicht de¬
ſto ſchlechter, daß er dieſes Bewußtſeyn erträgt
und wird deſto ſchwächer, daß er einen unheil¬
baren Krebsſchaden an ſich wachſen ſieht? Das
Höchſte hat er ohnehin verlohren, die Un¬
ſchuld.“ — „Eine flüchtige Wiegen-Tugend!
— Ein helles, keckes Reflektiren hat er doch“
*)
Titan II. Seite 30 ꝛc.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/409>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.