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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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fen Gesinnung und Lage so viel hieß als Ehe¬
losigkeit. -- "Recht hatten Sie indeß, (verfolgte
Julienne und wollte scherzhaft bleiben,) die
Liebe ohne Ehe gleicht einem Zugvogel, der
sich auf einen Mastbaum setzt, der selber zieht,
ich lobe mir einen hübschen grünen Wurzelbaum,
der da bleibt und ein Nest annimmt." --

Wider ihre Gewohnheit lachte Linda darüber
nicht, sondern gieng allein, ohne ein Wort zu
sagen, in den Garten und Mondschein hinunter.

"Die Gräfinn (sagte Idoine zur Freundinn,
bekümmert über die Bedeutung des stummen
Ernstes,) hat uns, hoff' ich, nicht mißverstan¬
den." -- "Nein, (sagte Julienne mit freudi¬
gen Mienen über den errungnen Eindruck, den
die Rede auf Linda gemacht,) sie hat die sel¬
tenste Gabe, zu verstehen, und das häufigste
Unglück, nicht verstanden zu weiden." -- "Das
ist immer beisammen," sagte sie, sann nach, sah
Juliennen an, endlich sagte sie: "ich muß ganz
wahr seyn, ich wußte der Gräfinn Verhältniß
durch meine Schwester -- Freundinn, ist Er
ihrer ganz werth?" Eine Frage, deren Quelle

fen Geſinnung und Lage ſo viel hieß als Ehe¬
loſigkeit. — „Recht hatten Sie indeß, (verfolgte
Julienne und wollte ſcherzhaft bleiben,) die
Liebe ohne Ehe gleicht einem Zugvogel, der
ſich auf einen Maſtbaum ſetzt, der ſelber zieht,
ich lobe mir einen hübſchen grünen Wurzelbaum,
der da bleibt und ein Neſt annimmt.“ —

Wider ihre Gewohnheit lachte Linda darüber
nicht, ſondern gieng allein, ohne ein Wort zu
ſagen, in den Garten und Mondſchein hinunter.

„Die Gräfinn (ſagte Idoine zur Freundinn,
bekümmert über die Bedeutung des ſtummen
Ernſtes,) hat uns, hoff' ich, nicht mißverſtan¬
den.“ — „Nein, (ſagte Julienne mit freudi¬
gen Mienen über den errungnen Eindruck, den
die Rede auf Linda gemacht,) ſie hat die ſel¬
tenſte Gabe, zu verſtehen, und das häufigſte
Unglück, nicht verſtanden zu weiden.“ — „Das
iſt immer beiſammen,“ ſagte ſie, ſann nach, ſah
Juliennen an, endlich ſagte ſie: „ich muß ganz
wahr ſeyn, ich wußte der Gräfinn Verhältniß
durch meine Schweſter — Freundinn, iſt Er
ihrer ganz werth?“ Eine Frage, deren Quelle

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[341/0353] fen Geſinnung und Lage ſo viel hieß als Ehe¬ loſigkeit. — „Recht hatten Sie indeß, (verfolgte Julienne und wollte ſcherzhaft bleiben,) die Liebe ohne Ehe gleicht einem Zugvogel, der ſich auf einen Maſtbaum ſetzt, der ſelber zieht, ich lobe mir einen hübſchen grünen Wurzelbaum, der da bleibt und ein Neſt annimmt.“ — Wider ihre Gewohnheit lachte Linda darüber nicht, ſondern gieng allein, ohne ein Wort zu ſagen, in den Garten und Mondſchein hinunter. „Die Gräfinn (ſagte Idoine zur Freundinn, bekümmert über die Bedeutung des ſtummen Ernſtes,) hat uns, hoff' ich, nicht mißverſtan¬ den.“ — „Nein, (ſagte Julienne mit freudi¬ gen Mienen über den errungnen Eindruck, den die Rede auf Linda gemacht,) ſie hat die ſel¬ tenſte Gabe, zu verſtehen, und das häufigſte Unglück, nicht verſtanden zu weiden.“ — „Das iſt immer beiſammen,“ ſagte ſie, ſann nach, ſah Juliennen an, endlich ſagte ſie: „ich muß ganz wahr ſeyn, ich wußte der Gräfinn Verhältniß durch meine Schweſter — Freundinn, iſt Er ihrer ganz werth?“ Eine Frage, deren Quelle

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/353>, abgerufen am 22.11.2024.