Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

lienne wunderte, da sonst beide in einem Wech¬
sel von Kälte und Liebe lebten. Die Ministe¬
rinn Froulay stand da, von der Trauer so alt,
kalt, still und höflich, so kalt gegen die Zeit
und die Menschen, (ausgenommen das Eben¬
bild ihrer Tochter) besonders gegen Linda, de¬
ren kecker, entschiedner, philosophischer Ton ihr
unweiblich und eine Trommete an zwei Frauen-
Lippen zu seyn schien.

Der künftige Erbprinz von Hohenflies ent¬
fernte sich zum Glücke bald von einem so un¬
bequemen Ort, wo er auf einem Schiffbruchs¬
brett, statt in einer Gondel fuhr. Nachdem er
Julienne mit Antheil um das Befinden ihres
Bruders, seines jetzigen Vorfahrers, gefragt --
und sie und Linda an ihre und seine welsche
Reise erinnert hatte: so würd' er über Julien¬
nens Kaltsinn und über die moralischen Gesprä¬
che der Weiber und über einen gewissen sittli¬
chen Gewitterdruck -- den Lüstlinge bei Wei¬
bern empfinden, wo alles Rauhe, die Gelb¬
sucht, die Anmaßung als Mißton schreiet --,
und über die allgemeine plagende Heuchelei --
wofür er sogleich alles nehmen mußte --, so

lienne wunderte, da ſonſt beide in einem Wech¬
ſel von Kälte und Liebe lebten. Die Miniſte¬
rinn Froulay ſtand da, von der Trauer ſo alt,
kalt, ſtill und höflich, ſo kalt gegen die Zeit
und die Menſchen, (ausgenommen das Eben¬
bild ihrer Tochter) beſonders gegen Linda, de¬
ren kecker, entſchiedner, philoſophiſcher Ton ihr
unweiblich und eine Trommete an zwei Frauen-
Lippen zu ſeyn ſchien.

Der künftige Erbprinz von Hohenflies ent¬
fernte ſich zum Glücke bald von einem ſo un¬
bequemen Ort, wo er auf einem Schiffbruchs¬
brett, ſtatt in einer Gondel fuhr. Nachdem er
Julienne mit Antheil um das Befinden ihres
Bruders, ſeines jetzigen Vorfahrers, gefragt —
und ſie und Linda an ihre und ſeine welſche
Reiſe erinnert hatte: ſo würd' er über Julien¬
nens Kaltſinn und über die moraliſchen Geſprä¬
che der Weiber und über einen gewiſſen ſittli¬
chen Gewitterdruck — den Lüſtlinge bei Wei¬
bern empfinden, wo alles Rauhe, die Gelb¬
ſucht, die Anmaßung als Mißton ſchreiet —,
und über die allgemeine plagende Heuchelei —
wofür er ſogleich alles nehmen mußte —, ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0337" n="325"/>
lienne wunderte, da &#x017F;on&#x017F;t beide in einem Wech¬<lb/>
&#x017F;el von Kälte und Liebe lebten. Die Mini&#x017F;te¬<lb/>
rinn Froulay &#x017F;tand da, von der Trauer &#x017F;o alt,<lb/>
kalt, &#x017F;till und höflich, &#x017F;o kalt gegen die Zeit<lb/>
und die Men&#x017F;chen, (ausgenommen das Eben¬<lb/>
bild ihrer Tochter) be&#x017F;onders gegen Linda, de¬<lb/>
ren kecker, ent&#x017F;chiedner, philo&#x017F;ophi&#x017F;cher Ton ihr<lb/>
unweiblich und eine Trommete an zwei Frauen-<lb/>
Lippen zu &#x017F;eyn &#x017F;chien.</p><lb/>
          <p>Der künftige <choice><sic>Eebprinz</sic><corr>Erbprinz</corr></choice> von Hohenflies ent¬<lb/>
fernte &#x017F;ich zum Glücke bald von einem &#x017F;o un¬<lb/>
bequemen Ort, wo er auf einem Schiffbruchs¬<lb/>
brett, &#x017F;tatt in einer Gondel fuhr. Nachdem er<lb/>
Julienne mit Antheil um das Befinden ihres<lb/>
Bruders, &#x017F;eines jetzigen Vorfahrers, gefragt &#x2014;<lb/>
und &#x017F;ie und Linda an ihre und &#x017F;eine wel&#x017F;che<lb/>
Rei&#x017F;e erinnert hatte: &#x017F;o würd' er über Julien¬<lb/>
nens Kalt&#x017F;inn und über die morali&#x017F;chen Ge&#x017F;prä¬<lb/>
che der Weiber und über einen gewi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ittli¬<lb/>
chen Gewitterdruck &#x2014; den Lü&#x017F;tlinge bei Wei¬<lb/>
bern empfinden, wo alles Rauhe, die Gelb¬<lb/>
&#x017F;ucht, die Anmaßung als Mißton &#x017F;chreiet &#x2014;,<lb/>
und über die allgemeine plagende Heuchelei &#x2014;<lb/>
wofür er &#x017F;ogleich alles nehmen mußte &#x2014;, &#x017F;o<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[325/0337] lienne wunderte, da ſonſt beide in einem Wech¬ ſel von Kälte und Liebe lebten. Die Miniſte¬ rinn Froulay ſtand da, von der Trauer ſo alt, kalt, ſtill und höflich, ſo kalt gegen die Zeit und die Menſchen, (ausgenommen das Eben¬ bild ihrer Tochter) beſonders gegen Linda, de¬ ren kecker, entſchiedner, philoſophiſcher Ton ihr unweiblich und eine Trommete an zwei Frauen- Lippen zu ſeyn ſchien. Der künftige Erbprinz von Hohenflies ent¬ fernte ſich zum Glücke bald von einem ſo un¬ bequemen Ort, wo er auf einem Schiffbruchs¬ brett, ſtatt in einer Gondel fuhr. Nachdem er Julienne mit Antheil um das Befinden ihres Bruders, ſeines jetzigen Vorfahrers, gefragt — und ſie und Linda an ihre und ſeine welſche Reiſe erinnert hatte: ſo würd' er über Julien¬ nens Kaltſinn und über die moraliſchen Geſprä¬ che der Weiber und über einen gewiſſen ſittli¬ chen Gewitterdruck — den Lüſtlinge bei Wei¬ bern empfinden, wo alles Rauhe, die Gelb¬ ſucht, die Anmaßung als Mißton ſchreiet —, und über die allgemeine plagende Heuchelei — wofür er ſogleich alles nehmen mußte —, ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/337
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/337>, abgerufen am 22.11.2024.