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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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weich gelegt und hat nicht ein Traum-Glied
mehr, in das eine Wunde geht. Swift, alter
Swift, der du sonst so sehr in der letzten Zeit
nicht bei Verstande warst und an jedem Ge¬
burtstage das ganze Kapitel durchlasest, wor¬
aus der h. Text unserer Erntepredigt genom¬
men ist, Swift, wie bist du nun so zufrieden
und gänzlich hergestellt, der Haß deiner Brust
ausgebrannt, die Zahlperle, dein Ich in der
heissen Thräne des Lebens endlich zerbaizt und
zerlassen und diese sieht allein hell da! -- Und
du hattest vor dem Küster gepredigt wie ich."
-- Hier habe Schoppe geweint und sich über
die Rührung, Gott weiß vor wem, entschuldigt
-- Darauf sey er an die Nutzanwendung ge¬
gangen und habe scharf auf Besserung des Zu¬
hörers und Predigers gedrungen, auf lautere
redliche Wahrhaftigkeit, Freundestreue, stolzen
Muth, bittern Haß der Süßlichkeit, des Schlan¬
gengangs und weicher Unzucht -- Endlich hab'
er mit einer Bitte an Gott, daß er ihn, sollt'
er einmal Gesundheit oder den Verstand oder
dergleichen verliehren, doch möge sterben lassen
wie einen Mann, die Andacht beschlossen und sey

weich gelegt und hat nicht ein Traum-Glied
mehr, in das eine Wunde geht. Swift, alter
Swift, der du ſonſt ſo ſehr in der letzten Zeit
nicht bei Verſtande warſt und an jedem Ge¬
burtstage das ganze Kapitel durchlaſeſt, wor¬
aus der h. Text unſerer Erntepredigt genom¬
men iſt, Swift, wie biſt du nun ſo zufrieden
und gänzlich hergeſtellt, der Haß deiner Bruſt
ausgebrannt, die Zahlperle, dein Ich in der
heiſſen Thräne des Lebens endlich zerbaizt und
zerlaſſen und dieſe ſieht allein hell da! — Und
du hatteſt vor dem Küſter gepredigt wie ich.“
— Hier habe Schoppe geweint und ſich über
die Rührung, Gott weiß vor wem, entſchuldigt
— Darauf ſey er an die Nutzanwendung ge¬
gangen und habe ſcharf auf Beſſerung des Zu¬
hörers und Predigers gedrungen, auf lautere
redliche Wahrhaftigkeit, Freundestreue, ſtolzen
Muth, bittern Haß der Süßlichkeit, des Schlan¬
gengangs und weicher Unzucht — Endlich hab'
er mit einer Bitte an Gott, daß er ihn, ſollt'
er einmal Geſundheit oder den Verſtand oder
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[277/0289] weich gelegt und hat nicht ein Traum-Glied mehr, in das eine Wunde geht. Swift, alter Swift, der du ſonſt ſo ſehr in der letzten Zeit nicht bei Verſtande warſt und an jedem Ge¬ burtstage das ganze Kapitel durchlaſeſt, wor¬ aus der h. Text unſerer Erntepredigt genom¬ men iſt, Swift, wie biſt du nun ſo zufrieden und gänzlich hergeſtellt, der Haß deiner Bruſt ausgebrannt, die Zahlperle, dein Ich in der heiſſen Thräne des Lebens endlich zerbaizt und zerlaſſen und dieſe ſieht allein hell da! — Und du hatteſt vor dem Küſter gepredigt wie ich.“ — Hier habe Schoppe geweint und ſich über die Rührung, Gott weiß vor wem, entſchuldigt — Darauf ſey er an die Nutzanwendung ge¬ gangen und habe ſcharf auf Beſſerung des Zu¬ hörers und Predigers gedrungen, auf lautere redliche Wahrhaftigkeit, Freundestreue, ſtolzen Muth, bittern Haß der Süßlichkeit, des Schlan¬ gengangs und weicher Unzucht — Endlich hab' er mit einer Bitte an Gott, daß er ihn, ſollt' er einmal Geſundheit oder den Verſtand oder dergleichen verliehren, doch möge ſterben laſſen wie einen Mann, die Andacht beſchloſſen und ſey

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/289>, abgerufen am 22.11.2024.