ben Striche und Umriß. Wehrfritz und Weh¬ meier bedauerten, daß er toll würde, wenn er's nicht schon sey. Der Magister hielt mit seinem Hauptbeweise zurück, bis der Landschaftsdirek¬ tor die kleineren Nebenbeweise beigebracht.
Sein Leben unter diesem Schloßdache wurde ab- und aufgedeckt, aber im Guten. Er hatte bisher -- so giengen die Berichte -- nichts Re¬ elles oder Solides "bezweckt". Wehrfritz schwur, er habe selber zugesehen, daß er die Litteratur¬ zeitung so gelesen, wie sie ineinander Halbbo¬ gen-Weise steckte, und sagte, daß er's freilich weniger der Tollheit als einer Geistes-Abwe¬ senheit zuschreibe, weil er wisse, mit welcher Lust er immer den Reichsanzeiger -- den sol¬ cher selber für den Thorschlüssel der Reichsstadt Deutschland erkläret -- in die Hand genommen und verständig durchgegangen. Mitten in der Gesellschaft hab' der Bibliothekar seine Hände angesehen mit den Worten: da sitzt ein Herr leibhaftig und ich in ihm, wer ist aber solcher? -- Gearbeitet hab' er sehr wenig, Bücher von Gewicht, wie H. Wehmeier wisse, selten ange¬ sehen, leichter die allerschlechtesten von Bauern,
Titan IV. S
ben Striche und Umriß. Wehrfritz und Weh¬ meier bedauerten, daß er toll würde, wenn er's nicht ſchon ſey. Der Magiſter hielt mit ſeinem Hauptbeweiſe zurück, bis der Landſchaftsdirek¬ tor die kleineren Nebenbeweiſe beigebracht.
Sein Leben unter dieſem Schloßdache wurde ab- und aufgedeckt, aber im Guten. Er hatte bisher — ſo giengen die Berichte — nichts Re¬ elles oder Solides „bezweckt“. Wehrfritz ſchwur, er habe ſelber zugeſehen, daß er die Litteratur¬ zeitung ſo geleſen, wie ſie ineinander Halbbo¬ gen-Weiſe ſteckte, und ſagte, daß er's freilich weniger der Tollheit als einer Geiſtes-Abwe¬ ſenheit zuſchreibe, weil er wiſſe, mit welcher Luſt er immer den Reichsanzeiger — den ſol¬ cher ſelber für den Thorſchlüſſel der Reichsſtadt Deutſchland erkläret — in die Hand genommen und verſtändig durchgegangen. Mitten in der Geſellſchaft hab' der Bibliothekar ſeine Hände angeſehen mit den Worten: da ſitzt ein Herr leibhaftig und ich in ihm, wer iſt aber ſolcher? — Gearbeitet hab' er ſehr wenig, Bücher von Gewicht, wie H. Wehmeier wiſſe, ſelten ange¬ ſehen, leichter die allerſchlechteſten von Bauern,
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ben Striche und Umriß. Wehrfritz und Weh¬
meier bedauerten, daß er toll würde, wenn er's
nicht ſchon ſey. Der Magiſter hielt mit ſeinem
Hauptbeweiſe zurück, bis der Landſchaftsdirek¬
tor die kleineren Nebenbeweiſe beigebracht.
Sein Leben unter dieſem Schloßdache wurde
ab- und aufgedeckt, aber im Guten. Er hatte
bisher — ſo giengen die Berichte — nichts Re¬
elles oder Solides „bezweckt“. Wehrfritz ſchwur,
er habe ſelber zugeſehen, daß er die Litteratur¬
zeitung ſo geleſen, wie ſie ineinander Halbbo¬
gen-Weiſe ſteckte, und ſagte, daß er's freilich
weniger der Tollheit als einer Geiſtes-Abwe¬
ſenheit zuſchreibe, weil er wiſſe, mit welcher
Luſt er immer den Reichsanzeiger — den ſol¬
cher ſelber für den Thorſchlüſſel der Reichsſtadt
Deutſchland erkläret — in die Hand genommen
und verſtändig durchgegangen. Mitten in der
Geſellſchaft hab' der Bibliothekar ſeine Hände
angeſehen mit den Worten: da ſitzt ein Herr
leibhaftig und ich in ihm, wer iſt aber ſolcher?
— Gearbeitet hab' er ſehr wenig, Bücher von
Gewicht, wie H. Wehmeier wiſſe, ſelten ange¬
ſehen, leichter die allerſchlechteſten von Bauern,
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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/285>, abgerufen am 22.11.2024.
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