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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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beschreibungen auf ihrem sonst bücherarmen
Nachttisch fielen ihm auf: "ich wollte doch
wissen, (sagte sie,) wie es Dir etwan da und
dort mochte ergehen und las deshalb das lan¬
ge Zeug." -- "Du bleibst meine Schwester!"
sagt' er und küßte sie herzlich. Sie fragte ihn
noch viel und zudringlich über sein neues Ver¬
hältniß, aber er eilte wortkarg mit dem vollen
Herzen hinab. --

Das erste Wort drunten an den Landschafts¬
direktor war die Bitte um das "deponirte Schop¬
pische Schreiben." Wehrfritz brachte den im Eisen¬
kästchen der Schuldscheine aufbewahrten breiten
Brief und lieferte ihn hoffentlich, wie er sagte,
richtig ab. Kaum hielt Albano die Thränen zu¬
rück, als er die krausen aber werthen Spuren
der geliebten Hand, die gewißlich nie im Le¬
ben gewankt oder sich befleckt, in der seinigen
hielt. Da er nichts erbrach, so fiengen sie alle
gutmüthig an, ihm seinen Freund Schoppe noch
den Muthmaßungen und Ansichten, die sich der
Mensch über jeden höhern Geist so keck und
froh erlaubt, mit allen seinen Thaten oder Far¬
ben vorzuschildern, als wären Thaten oder Far¬

ben

beſchreibungen auf ihrem ſonſt bücherarmen
Nachttiſch fielen ihm auf: „ich wollte doch
wiſſen, (ſagte ſie,) wie es Dir etwan da und
dort mochte ergehen und las deshalb das lan¬
ge Zeug.“ — „Du bleibſt meine Schweſter!“
ſagt' er und küßte ſie herzlich. Sie fragte ihn
noch viel und zudringlich über ſein neues Ver¬
hältniß, aber er eilte wortkarg mit dem vollen
Herzen hinab. —

Das erſte Wort drunten an den Landſchafts¬
direktor war die Bitte um das „deponirte Schop¬
piſche Schreiben.“ Wehrfritz brachte den im Eiſen¬
käſtchen der Schuldſcheine aufbewahrten breiten
Brief und lieferte ihn hoffentlich, wie er ſagte,
richtig ab. Kaum hielt Albano die Thränen zu¬
rück, als er die krauſen aber werthen Spuren
der geliebten Hand, die gewißlich nie im Le¬
ben gewankt oder ſich befleckt, in der ſeinigen
hielt. Da er nichts erbrach, ſo fiengen ſie alle
gutmüthig an, ihm ſeinen Freund Schoppe noch
den Muthmaßungen und Anſichten, die ſich der
Menſch über jeden höhern Geiſt ſo keck und
froh erlaubt, mit allen ſeinen Thaten oder Far¬
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[272/0284] beſchreibungen auf ihrem ſonſt bücherarmen Nachttiſch fielen ihm auf: „ich wollte doch wiſſen, (ſagte ſie,) wie es Dir etwan da und dort mochte ergehen und las deshalb das lan¬ ge Zeug.“ — „Du bleibſt meine Schweſter!“ ſagt' er und küßte ſie herzlich. Sie fragte ihn noch viel und zudringlich über ſein neues Ver¬ hältniß, aber er eilte wortkarg mit dem vollen Herzen hinab. — Das erſte Wort drunten an den Landſchafts¬ direktor war die Bitte um das „deponirte Schop¬ piſche Schreiben.“ Wehrfritz brachte den im Eiſen¬ käſtchen der Schuldſcheine aufbewahrten breiten Brief und lieferte ihn hoffentlich, wie er ſagte, richtig ab. Kaum hielt Albano die Thränen zu¬ rück, als er die krauſen aber werthen Spuren der geliebten Hand, die gewißlich nie im Le¬ ben gewankt oder ſich befleckt, in der ſeinigen hielt. Da er nichts erbrach, ſo fiengen ſie alle gutmüthig an, ihm ſeinen Freund Schoppe noch den Muthmaßungen und Anſichten, die ſich der Menſch über jeden höhern Geiſt ſo keck und froh erlaubt, mit allen ſeinen Thaten oder Far¬ ben vorzuſchildern, als wären Thaten oder Far¬ ben

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/284>, abgerufen am 28.07.2024.