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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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Schuld, oder durch das kalte Schicksal: wär' es
dann nicht schöner, wenn wir uns in dieser
Minute hinunterstürzten in den See und in
unserer Liebe stürben?" -- Die Sonnengluth
brannte wie eine Aurora herein, welche Jüng¬
linge und Jungfrauen zu den Göttern entführt;
und die Lebens-Dämmerung war zu hellem
Morgenroth entzündet. "Wenn Du das weißt,
(sagte Linda,) so stirb jetzt mit mir." -- --

Da weckte beide Juliennens ferne Stimme
-- endlich kam sie selber mit Dian zum Ab¬
schied. Sie sahen erwachend, von der Sonne
und Liebe geblendet umher und alles war ver¬
ändert -- die Sonne war versunken, der weite
See mit Nebel-Schatten bezogen und die Welt
erkältet, nur die hohen Eisberge loderten noch
rosenroth ins Blau, wie Gedächtnißsäulen der
flammenden Bundes-Stunde.

Vor Albano's Seele stand noch das men¬
schentrennende Schicksal, die kalte verhüllte Fel¬
sen-Gestalt, deren Schleier auch steinern ist
und den niemand hebt. Er wollte nun durch¬
reißen und sogleich ohne feiges Zögern in den
Winter hinunter. "O bis der Hesperus unterge¬

Schuld, oder durch das kalte Schickſal: wär' es
dann nicht ſchöner, wenn wir uns in dieſer
Minute hinunterſtürzten in den See und in
unſerer Liebe ſtürben?“ — Die Sonnengluth
brannte wie eine Aurora herein, welche Jüng¬
linge und Jungfrauen zu den Göttern entführt;
und die Lebens-Dämmerung war zu hellem
Morgenroth entzündet. „Wenn Du das weißt,
(ſagte Linda,) ſo ſtirb jetzt mit mir.“ — —

Da weckte beide Juliennens ferne Stimme
— endlich kam ſie ſelber mit Dian zum Ab¬
ſchied. Sie ſahen erwachend, von der Sonne
und Liebe geblendet umher und alles war ver¬
ändert — die Sonne war verſunken, der weite
See mit Nebel-Schatten bezogen und die Welt
erkältet, nur die hohen Eisberge loderten noch
roſenroth ins Blau, wie Gedächtnißſäulen der
flammenden Bundes-Stunde.

Vor Albano's Seele ſtand noch das men¬
ſchentrennende Schickſal, die kalte verhüllte Fel¬
ſen-Geſtalt, deren Schleier auch ſteinern iſt
und den niemand hebt. Er wollte nun durch¬
reißen und ſogleich ohne feiges Zögern in den
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[250/0262] Schuld, oder durch das kalte Schickſal: wär' es dann nicht ſchöner, wenn wir uns in dieſer Minute hinunterſtürzten in den See und in unſerer Liebe ſtürben?“ — Die Sonnengluth brannte wie eine Aurora herein, welche Jüng¬ linge und Jungfrauen zu den Göttern entführt; und die Lebens-Dämmerung war zu hellem Morgenroth entzündet. „Wenn Du das weißt, (ſagte Linda,) ſo ſtirb jetzt mit mir.“ — — Da weckte beide Juliennens ferne Stimme — endlich kam ſie ſelber mit Dian zum Ab¬ ſchied. Sie ſahen erwachend, von der Sonne und Liebe geblendet umher und alles war ver¬ ändert — die Sonne war verſunken, der weite See mit Nebel-Schatten bezogen und die Welt erkältet, nur die hohen Eisberge loderten noch roſenroth ins Blau, wie Gedächtnißſäulen der flammenden Bundes-Stunde. Vor Albano's Seele ſtand noch das men¬ ſchentrennende Schickſal, die kalte verhüllte Fel¬ ſen-Geſtalt, deren Schleier auch ſteinern iſt und den niemand hebt. Er wollte nun durch¬ reißen und ſogleich ohne feiges Zögern in den Winter hinunter. „O bis der Heſperus unterge¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/262>, abgerufen am 01.09.2024.