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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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Geister der Schwester und Lianens konnten
jede Minute durch das Erdenlicht blitzen --
und entfernter standen die Gebürge draußen
im Leben. Er sah die blühende Linda an, da
kam sie ihm auf einmal anders vor, fremd,
überirdisch, als erscheine sie unter den Geistern
und gehe wieder von hinnen. Sie sah ihn be¬
deutend an mit den Worten: "hier ist's un¬
heimlich, gehen wir!" "Weib," sagt' er mit
starker Stimme auf deutsch, einem innerlichen
Schrecken antwortend und faßte ihre Hand,
"wir wollen zusammenhalten wie ein lebendi¬
ges Herz, wenn man es zerreissen will." Lin¬
da versetzte: "ich bleibe nicht länger Julienne!"
Und man gieng.

Auf der Schwelle kam es dem Grafen ein,
in das Nebenzimmer zu schauen; er macht' es
auf und fuhr zusammen, rief aber: "geht nur
voraus," und gieng hinein. Er hatte nehmlich
sich im Spiegel zweimal nachgespielt erblickt.
Drinnen fand er sich in einer Nische in franzö¬
sischer Uniform stehen in Wachs, aber schon als
Jüngling, und darneben, was die Thür bedeckt
hatte, seinen Vater auch als Jüngling, altmo¬

Geiſter der Schweſter und Lianens konnten
jede Minute durch das Erdenlicht blitzen —
und entfernter ſtanden die Gebürge draußen
im Leben. Er ſah die blühende Linda an, da
kam ſie ihm auf einmal anders vor, fremd,
überirdiſch, als erſcheine ſie unter den Geiſtern
und gehe wieder von hinnen. Sie ſah ihn be¬
deutend an mit den Worten: „hier iſt's un¬
heimlich, gehen wir!“ „Weib,“ ſagt' er mit
ſtarker Stimme auf deutſch, einem innerlichen
Schrecken antwortend und faßte ihre Hand,
„wir wollen zuſammenhalten wie ein lebendi¬
ges Herz, wenn man es zerreiſſen will.“ Lin¬
da verſetzte: „ich bleibe nicht länger Julienne!“
Und man gieng.

Auf der Schwelle kam es dem Grafen ein,
in das Nebenzimmer zu ſchauen; er macht' es
auf und fuhr zuſammen, rief aber: „geht nur
voraus,“ und gieng hinein. Er hatte nehmlich
ſich im Spiegel zweimal nachgeſpielt erblickt.
Drinnen fand er ſich in einer Niſche in franzö¬
ſiſcher Uniform ſtehen in Wachs, aber ſchon als
Jüngling, und darneben, was die Thür bedeckt
hatte, ſeinen Vater auch als Jüngling, altmo¬

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[235/0247] Geiſter der Schweſter und Lianens konnten jede Minute durch das Erdenlicht blitzen — und entfernter ſtanden die Gebürge draußen im Leben. Er ſah die blühende Linda an, da kam ſie ihm auf einmal anders vor, fremd, überirdiſch, als erſcheine ſie unter den Geiſtern und gehe wieder von hinnen. Sie ſah ihn be¬ deutend an mit den Worten: „hier iſt's un¬ heimlich, gehen wir!“ „Weib,“ ſagt' er mit ſtarker Stimme auf deutſch, einem innerlichen Schrecken antwortend und faßte ihre Hand, „wir wollen zuſammenhalten wie ein lebendi¬ ges Herz, wenn man es zerreiſſen will.“ Lin¬ da verſetzte: „ich bleibe nicht länger Julienne!“ Und man gieng. Auf der Schwelle kam es dem Grafen ein, in das Nebenzimmer zu ſchauen; er macht' es auf und fuhr zuſammen, rief aber: „geht nur voraus,“ und gieng hinein. Er hatte nehmlich ſich im Spiegel zweimal nachgeſpielt erblickt. Drinnen fand er ſich in einer Niſche in franzö¬ ſiſcher Uniform ſtehen in Wachs, aber ſchon als Jüngling, und darneben, was die Thür bedeckt hatte, ſeinen Vater auch als Jüngling, altmo¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/247>, abgerufen am 23.11.2024.