Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

lief; denn sein Anfang gränzt näher als die
Mitte an sein Ende, und die aus- und ein¬
schiffende Küste unsers Lebens hängt ins dunkle
Meer. Albano wurde wehmüthig angeregt von
der Umgebung und von dem Blicke auf das
Menschenleben und auf seine eignen grünen
noch winterlich-niedrig stehenden Felder hinaus
-- und von der Stätte, wo er mit einer Mut¬
ter und Schwester gelebt, die aus der Er¬
de, ja sogar aus seiner Phantasie entwichen
waren. -- Er nahm die Zinn-Uhr zu sich und
sagte: "giebt es für das Alter, das keine Zeit
sondern eine Ewigkeit hat, eine bessere Uhr als
die mit dem Zeiger ohne Gewerk?"

Überrascht wurde Linda als sie von einem
Glaskästchen einen Vorhang wegzog und als
ein engelschönes Kind von Wachs darin in die
hellen Augen Licht bekam. "Es ist die todte
Severina," sagte Albano eilig, mit dem rauhen
Beiwort "todt" was Linda nicht gern litt.
Immer mehr wurd' ihm in der helldunkeln
Stube unheimlich -- ein Sonnenstreif brannte
seltsam durch das hohe Fenster herab -- beseel¬
ter auferstandner Staub spielte in ihm -- die

lief; denn ſein Anfang gränzt näher als die
Mitte an ſein Ende, und die aus- und ein¬
ſchiffende Küſte unſers Lebens hängt ins dunkle
Meer. Albano wurde wehmüthig angeregt von
der Umgebung und von dem Blicke auf das
Menſchenleben und auf ſeine eignen grünen
noch winterlich-niedrig ſtehenden Felder hinaus
— und von der Stätte, wo er mit einer Mut¬
ter und Schweſter gelebt, die aus der Er¬
de, ja ſogar aus ſeiner Phantaſie entwichen
waren. — Er nahm die Zinn-Uhr zu ſich und
ſagte: „giebt es für das Alter, das keine Zeit
ſondern eine Ewigkeit hat, eine beſſere Uhr als
die mit dem Zeiger ohne Gewerk?“

Überraſcht wurde Linda als ſie von einem
Glaskäſtchen einen Vorhang wegzog und als
ein engelſchönes Kind von Wachs darin in die
hellen Augen Licht bekam. „Es iſt die todte
Severina,“ ſagte Albano eilig, mit dem rauhen
Beiwort „todt“ was Linda nicht gern litt.
Immer mehr wurd' ihm in der helldunkeln
Stube unheimlich — ein Sonnenſtreif brannte
ſeltſam durch das hohe Fenſter herab — beſeel¬
ter auferſtandner Staub ſpielte in ihm — die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0246" n="234"/>
lief; denn &#x017F;ein Anfang gränzt näher als die<lb/>
Mitte an &#x017F;ein Ende, und die aus- und ein¬<lb/>
&#x017F;chiffende Kü&#x017F;te un&#x017F;ers Lebens hängt ins dunkle<lb/>
Meer. Albano wurde wehmüthig angeregt von<lb/>
der Umgebung und von dem Blicke auf das<lb/>
Men&#x017F;chenleben und auf &#x017F;eine eignen grünen<lb/>
noch winterlich-niedrig &#x017F;tehenden Felder hinaus<lb/>
&#x2014; und von der Stätte, wo er mit einer Mut¬<lb/>
ter und Schwe&#x017F;ter gelebt, die aus der Er¬<lb/>
de, ja &#x017F;ogar aus &#x017F;einer Phanta&#x017F;ie entwichen<lb/>
waren. &#x2014; Er nahm die Zinn-Uhr zu &#x017F;ich und<lb/>
&#x017F;agte: &#x201E;giebt es für das Alter, das keine Zeit<lb/>
&#x017F;ondern eine Ewigkeit hat, eine be&#x017F;&#x017F;ere Uhr als<lb/>
die mit dem Zeiger ohne Gewerk?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Überra&#x017F;cht wurde Linda als &#x017F;ie von einem<lb/>
Glaskä&#x017F;tchen einen Vorhang wegzog und als<lb/>
ein engel&#x017F;chönes Kind von Wachs darin in die<lb/>
hellen Augen Licht bekam. &#x201E;Es i&#x017F;t die todte<lb/>
Severina,&#x201C; &#x017F;agte Albano eilig, mit dem rauhen<lb/>
Beiwort &#x201E;todt&#x201C; was Linda nicht gern litt.<lb/>
Immer mehr wurd' ihm in der helldunkeln<lb/>
Stube unheimlich &#x2014; ein Sonnen&#x017F;treif brannte<lb/>
&#x017F;elt&#x017F;am durch das hohe Fen&#x017F;ter herab &#x2014; be&#x017F;eel¬<lb/>
ter aufer&#x017F;tandner Staub &#x017F;pielte in ihm &#x2014; die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[234/0246] lief; denn ſein Anfang gränzt näher als die Mitte an ſein Ende, und die aus- und ein¬ ſchiffende Küſte unſers Lebens hängt ins dunkle Meer. Albano wurde wehmüthig angeregt von der Umgebung und von dem Blicke auf das Menſchenleben und auf ſeine eignen grünen noch winterlich-niedrig ſtehenden Felder hinaus — und von der Stätte, wo er mit einer Mut¬ ter und Schweſter gelebt, die aus der Er¬ de, ja ſogar aus ſeiner Phantaſie entwichen waren. — Er nahm die Zinn-Uhr zu ſich und ſagte: „giebt es für das Alter, das keine Zeit ſondern eine Ewigkeit hat, eine beſſere Uhr als die mit dem Zeiger ohne Gewerk?“ Überraſcht wurde Linda als ſie von einem Glaskäſtchen einen Vorhang wegzog und als ein engelſchönes Kind von Wachs darin in die hellen Augen Licht bekam. „Es iſt die todte Severina,“ ſagte Albano eilig, mit dem rauhen Beiwort „todt“ was Linda nicht gern litt. Immer mehr wurd' ihm in der helldunkeln Stube unheimlich — ein Sonnenſtreif brannte ſeltſam durch das hohe Fenſter herab — beſeel¬ ter auferſtandner Staub ſpielte in ihm — die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/246
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/246>, abgerufen am 23.11.2024.