er.) O man schämt sich wohl freilich, daß man etwas früher nur denken und sagen muß, eh' man's thut, obgleich der dürftige Mensch nicht anders kann, sondern jede That wie eine Sta¬ tue vorher im elenden Wachs der Worte mo¬ delliren muß. Ach, Linda, liegen hier nicht überall um uns Thaten, statt der Worte und Wünsche? -- Hab' ich nicht auch einen Arm, ein Herz, eine Geliebte, und Kräfte wie andere und soll mit einem morschen mürben spanisch- oder deutschen Grafenleben aus der Welt ge¬ hen? -- O meine Linda, streite Du für mich!"
"Ich bin (sagte sie, scharf nach der großen Kaskatella blickend, die hoch aus Bäumen her¬ niederstürmte,) nicht von vielen oder beredten Worten und verstehe Sie auch nicht ganz. Ich muß mir immer die Worte in Ideen und Wahr¬ heiten übersetzen und vermag es nicht allzeit. Bei Ihren Worten, Graf, denk' ich mir gar nichts. Wem die Liebe nicht allein genügt, der ist von ihr nicht erfüllet worden. Freilich, so mit dem Herzen alles vergessend, wie wir, so konzentrirt in Eine Idee des Lebens sind die Männer nie. Ach und so wenig ist der Mensch
er.) O man ſchämt ſich wohl freilich, daß man etwas früher nur denken und ſagen muß, eh' man's thut, obgleich der dürftige Menſch nicht anders kann, ſondern jede That wie eine Sta¬ tue vorher im elenden Wachs der Worte mo¬ delliren muß. Ach, Linda, liegen hier nicht überall um uns Thaten, ſtatt der Worte und Wünſche? — Hab' ich nicht auch einen Arm, ein Herz, eine Geliebte, und Kräfte wie andere und ſoll mit einem morſchen mürben ſpaniſch- oder deutſchen Grafenleben aus der Welt ge¬ hen? — O meine Linda, ſtreite Du für mich!“
„Ich bin (ſagte ſie, ſcharf nach der großen Kaskatella blickend, die hoch aus Bäumen her¬ niederſtürmte,) nicht von vielen oder beredten Worten und verſtehe Sie auch nicht ganz. Ich muß mir immer die Worte in Ideen und Wahr¬ heiten überſetzen und vermag es nicht allzeit. Bei Ihren Worten, Graf, denk' ich mir gar nichts. Wem die Liebe nicht allein genügt, der iſt von ihr nicht erfüllet worden. Freilich, ſo mit dem Herzen alles vergeſſend, wie wir, ſo konzentrirt in Eine Idee des Lebens ſind die Männer nie. Ach und ſo wenig iſt der Menſch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0230"n="218"/>
er.) O man ſchämt ſich wohl freilich, daß man<lb/>
etwas früher nur denken und ſagen muß, eh'<lb/>
man's thut, obgleich der dürftige Menſch nicht<lb/>
anders kann, ſondern jede That wie eine Sta¬<lb/>
tue vorher im elenden Wachs der Worte mo¬<lb/>
delliren muß. Ach, Linda, liegen hier nicht<lb/>
überall um uns Thaten, ſtatt der Worte und<lb/>
Wünſche? — Hab' ich nicht auch einen Arm,<lb/>
ein Herz, eine Geliebte, und Kräfte wie andere<lb/>
und ſoll mit einem morſchen mürben ſpaniſch-<lb/>
oder deutſchen Grafenleben aus der Welt ge¬<lb/>
hen? — O meine Linda, ſtreite Du für mich!“</p><lb/><p>„Ich bin (ſagte ſie, ſcharf nach der großen<lb/>
Kaskatella blickend, die hoch aus Bäumen her¬<lb/>
niederſtürmte,) nicht von vielen oder beredten<lb/>
Worten und verſtehe Sie auch nicht ganz. Ich<lb/>
muß mir immer die Worte in Ideen und Wahr¬<lb/>
heiten überſetzen und vermag es nicht allzeit.<lb/>
Bei Ihren Worten, Graf, denk' ich mir gar<lb/>
nichts. Wem die Liebe nicht allein genügt, der<lb/>
iſt von ihr nicht erfüllet worden. Freilich, ſo<lb/>
mit dem Herzen alles vergeſſend, wie wir, ſo<lb/>
konzentrirt in Eine Idee des Lebens ſind die<lb/>
Männer nie. Ach und ſo wenig iſt der Menſch<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[218/0230]
er.) O man ſchämt ſich wohl freilich, daß man
etwas früher nur denken und ſagen muß, eh'
man's thut, obgleich der dürftige Menſch nicht
anders kann, ſondern jede That wie eine Sta¬
tue vorher im elenden Wachs der Worte mo¬
delliren muß. Ach, Linda, liegen hier nicht
überall um uns Thaten, ſtatt der Worte und
Wünſche? — Hab' ich nicht auch einen Arm,
ein Herz, eine Geliebte, und Kräfte wie andere
und ſoll mit einem morſchen mürben ſpaniſch-
oder deutſchen Grafenleben aus der Welt ge¬
hen? — O meine Linda, ſtreite Du für mich!“
„Ich bin (ſagte ſie, ſcharf nach der großen
Kaskatella blickend, die hoch aus Bäumen her¬
niederſtürmte,) nicht von vielen oder beredten
Worten und verſtehe Sie auch nicht ganz. Ich
muß mir immer die Worte in Ideen und Wahr¬
heiten überſetzen und vermag es nicht allzeit.
Bei Ihren Worten, Graf, denk' ich mir gar
nichts. Wem die Liebe nicht allein genügt, der
iſt von ihr nicht erfüllet worden. Freilich, ſo
mit dem Herzen alles vergeſſend, wie wir, ſo
konzentrirt in Eine Idee des Lebens ſind die
Männer nie. Ach und ſo wenig iſt der Menſch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/230>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.