wie zornig gegen sie, zum Weiterbeten unfähig vor dem Geschrei seines Herzens, und mit beiden Händen hastig über sein nasses Gesicht wegstreifend -- Nun betete er sanfter-zitternd fort: "Nein, Du Allliebender! Tödte nicht dieses "schöne, junge Leben! Lass' uns beisammen, "lang' und fromm!"
Sie kniete unwillkürlich neben ihn -- heute matter von Freuden und unbekannten in¬ nern Siegen, sogar vom langen Gehen -- desto heftiger angefallen von einer rührenden Wirk¬ lichkeit, da sie von rührenden Phantasien ver¬ wöhnt und erweicht war -- und unsäglich lei¬ dend bei Albano's Schmerz -- sie konnte nicht reden -- wie unter einer schnell aufgeworfnen Last bückte sich ihr Haupt und Hals -- und so blickte sie wie vom ganzen Leben schwer um¬ wölkt auf den Boden hin -- der umfangende Todesfluß rauschte mit Einem Arm um sie -- da sah sie, ohne aufzublicken, irgendwo ihre Karoline im Brautkleide und mit dem weissen, gold-punktirten Schleier ziehen, der sich lang über das Leben wegschleppte, und sie sah es
deut¬
wie zornig gegen ſie, zum Weiterbeten unfähig vor dem Geſchrei ſeines Herzens, und mit beiden Händen haſtig über ſein naſſes Geſicht wegſtreifend — Nun betete er ſanfter-zitternd fort: „Nein, Du Allliebender! Tödte nicht dieſes „ſchöne, junge Leben! Laſſ' uns beiſammen, „lang' und fromm!“
Sie kniete unwillkürlich neben ihn — heute matter von Freuden und unbekannten in¬ nern Siegen, ſogar vom langen Gehen — deſto heftiger angefallen von einer rührenden Wirk¬ lichkeit, da ſie von rührenden Phantaſien ver¬ wöhnt und erweicht war — und unſäglich lei¬ dend bei Albano's Schmerz — ſie konnte nicht reden — wie unter einer ſchnell aufgeworfnen Laſt bückte ſich ihr Haupt und Hals — und ſo blickte ſie wie vom ganzen Leben ſchwer um¬ wölkt auf den Boden hin — der umfangende Todesfluß rauſchte mit Einem Arm um ſie — da ſah ſie, ohne aufzublicken, irgendwo ihre Karoline im Brautkleide und mit dem weiſſen, gold-punktirten Schleier ziehen, der ſich lang über das Leben wegſchleppte, und ſie ſah es
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wie zornig gegen ſie, zum Weiterbeten unfähig
vor dem Geſchrei ſeines Herzens, und mit
beiden Händen haſtig über ſein naſſes Geſicht
wegſtreifend — Nun betete er ſanfter-zitternd
fort: „Nein, Du Allliebender! Tödte nicht dieſes
„ſchöne, junge Leben! Laſſ' uns beiſammen,
„lang' und fromm!“
Sie kniete unwillkürlich neben ihn —
heute matter von Freuden und unbekannten in¬
nern Siegen, ſogar vom langen Gehen — deſto
heftiger angefallen von einer rührenden Wirk¬
lichkeit, da ſie von rührenden Phantaſien ver¬
wöhnt und erweicht war — und unſäglich lei¬
dend bei Albano's Schmerz — ſie konnte nicht
reden — wie unter einer ſchnell aufgeworfnen
Laſt bückte ſich ihr Haupt und Hals — und
ſo blickte ſie wie vom ganzen Leben ſchwer um¬
wölkt auf den Boden hin — der umfangende
Todesfluß rauſchte mit Einem Arm um ſie —
da ſah ſie, ohne aufzublicken, irgendwo ihre
Karoline im Brautkleide und mit dem weiſſen,
gold-punktirten Schleier ziehen, der ſich lang
über das Leben wegſchleppte, und ſie ſah es
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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/92>, abgerufen am 24.11.2024.
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