Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

Selbst Siegers. Wie Menschen zugleich hart¬
hörig unter dem gemeinen Lebens-Getöse seyn
können und doch den feinsten musikalischen Lau¬
ten offen*): so waren Schoppens innere Oh¬
ren verhärtet gegen das Volks-Gepolter des
allgemeinen Treibens, aber durstig zogen sie al¬
le weiche, leise Melodieen der heiligern See¬
len ein.

Der Lektor -- den Grafen weit herzlicher
liebend als dieser ihn -- nahm stürmisch den
Bibliothekar sogleich mit fort ins Schloß, weil
eben jetzt die recht-erlesene Hof-Ferien-Stunde
sey, von 41/2 bis 51/2. Schoppe sagte, er sey da¬
bei. Im Schloß befahl Augusti einem Diener,
der ihn verstand, Schoppen ins Spiegelzimmer
zu führen. Er thats; brachte Lichter nach; und
Schoppe gieng langsam mit seinem verdrüßli¬
chen Gefolge stummer flinker Spiegel-Urangu¬
tangs auf und nieder, seiner Rolle und Zu¬
kunft nachrechnend. Seltsam fühlt' er sich jetzt
betroffen von seinem jungen, frischen Gefühl
der bisherigen Freiheit, die er eben suspendirte;

*) Z. B. der Kapellmeister Naumann.

Selbſt Siegers. Wie Menſchen zugleich hart¬
hörig unter dem gemeinen Lebens-Getöſe ſeyn
können und doch den feinſten muſikaliſchen Lau¬
ten offen*): ſo waren Schoppens innere Oh¬
ren verhärtet gegen das Volks-Gepolter des
allgemeinen Treibens, aber durſtig zogen ſie al¬
le weiche, leiſe Melodieen der heiligern See¬
len ein.

Der Lektor — den Grafen weit herzlicher
liebend als dieſer ihn — nahm ſtürmiſch den
Bibliothekar ſogleich mit fort ins Schloß, weil
eben jetzt die recht-erleſene Hof-Ferien-Stunde
ſey, von 4½ bis 5½. Schoppe ſagte, er ſey da¬
bei. Im Schloß befahl Auguſti einem Diener,
der ihn verſtand, Schoppen ins Spiegelzimmer
zu führen. Er thats; brachte Lichter nach; und
Schoppe gieng langſam mit ſeinem verdrüßli¬
chen Gefolge ſtummer flinker Spiegel-Urangu¬
tangs auf und nieder, ſeiner Rolle und Zu¬
kunft nachrechnend. Seltſam fühlt' er ſich jetzt
betroffen von ſeinem jungen, friſchen Gefühl
der bisherigen Freiheit, die er eben ſuſpendirte;

*) Z. B. der Kapellmeiſter Naumann.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0418" n="406"/>
Selb&#x017F;t Siegers. Wie Men&#x017F;chen zugleich hart¬<lb/>
hörig unter dem gemeinen Lebens-Getö&#x017F;e &#x017F;eyn<lb/>
können und doch den fein&#x017F;ten mu&#x017F;ikali&#x017F;chen Lau¬<lb/>
ten offen<note place="foot" n="*)">Z. B. der Kapellmei&#x017F;ter Naumann.<lb/></note>: &#x017F;o waren Schoppens innere Oh¬<lb/>
ren verhärtet gegen das Volks-Gepolter des<lb/>
allgemeinen Treibens, aber dur&#x017F;tig zogen &#x017F;ie al¬<lb/>
le weiche, lei&#x017F;e Melodieen der heiligern See¬<lb/>
len ein.</p><lb/>
          <p>Der Lektor &#x2014; den Grafen weit herzlicher<lb/>
liebend als die&#x017F;er ihn &#x2014; nahm &#x017F;türmi&#x017F;ch den<lb/>
Bibliothekar &#x017F;ogleich mit fort ins Schloß, weil<lb/>
eben jetzt die recht-erle&#x017F;ene Hof-Ferien-Stunde<lb/>
&#x017F;ey, von 4½ bis 5½. Schoppe &#x017F;agte, er &#x017F;ey da¬<lb/>
bei. Im Schloß befahl Augu&#x017F;ti einem Diener,<lb/>
der ihn ver&#x017F;tand, Schoppen ins Spiegelzimmer<lb/>
zu führen. Er thats; brachte Lichter nach; und<lb/>
Schoppe gieng lang&#x017F;am mit &#x017F;einem verdrüßli¬<lb/>
chen Gefolge &#x017F;tummer flinker Spiegel-Urangu¬<lb/>
tangs auf und nieder, &#x017F;einer Rolle und Zu¬<lb/>
kunft nachrechnend. Selt&#x017F;am fühlt' er &#x017F;ich jetzt<lb/>
betroffen von &#x017F;einem jungen, fri&#x017F;chen Gefühl<lb/>
der bisherigen Freiheit, die er eben &#x017F;u&#x017F;pendirte;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[406/0418] Selbſt Siegers. Wie Menſchen zugleich hart¬ hörig unter dem gemeinen Lebens-Getöſe ſeyn können und doch den feinſten muſikaliſchen Lau¬ ten offen *): ſo waren Schoppens innere Oh¬ ren verhärtet gegen das Volks-Gepolter des allgemeinen Treibens, aber durſtig zogen ſie al¬ le weiche, leiſe Melodieen der heiligern See¬ len ein. Der Lektor — den Grafen weit herzlicher liebend als dieſer ihn — nahm ſtürmiſch den Bibliothekar ſogleich mit fort ins Schloß, weil eben jetzt die recht-erleſene Hof-Ferien-Stunde ſey, von 4½ bis 5½. Schoppe ſagte, er ſey da¬ bei. Im Schloß befahl Auguſti einem Diener, der ihn verſtand, Schoppen ins Spiegelzimmer zu führen. Er thats; brachte Lichter nach; und Schoppe gieng langſam mit ſeinem verdrüßli¬ chen Gefolge ſtummer flinker Spiegel-Urangu¬ tangs auf und nieder, ſeiner Rolle und Zu¬ kunft nachrechnend. Seltſam fühlt' er ſich jetzt betroffen von ſeinem jungen, friſchen Gefühl der bisherigen Freiheit, die er eben ſuſpendirte; *) Z. B. der Kapellmeiſter Naumann.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/418
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/418>, abgerufen am 22.11.2024.