Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.auf zu spielen und unter dem Schleier wurd' "Dein Kopf ist schwer und kalt, meine Toch¬ Da quoll die goldne Sonne durch die Wol¬ auf zu ſpielen und unter dem Schleier wurd' „Dein Kopf iſt ſchwer und kalt, meine Toch¬ Da quoll die goldne Sonne durch die Wol¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0401" n="389"/> auf zu ſpielen und unter dem Schleier wurd'<lb/> es ſtill und unbeweglich.</p><lb/> <p>„Dein Kopf iſt ſchwer und kalt, meine Toch¬<lb/> ter,“ ſagte die troſtloſe Mutter. „Reißt den<lb/> Schleier weg“ rief der Bruder; und als er ihn<lb/> herunter zog, ruhte Liane zufrieden und lä¬<lb/> chelnd darunter, aber geſtorben — die blauen<lb/> Augen offen nach dem Himmel — der verklär¬<lb/> te Mund noch Liebe athmend — die jungfräu¬<lb/> liche Lilien-Stirn von der tiefer herabgeſunk¬<lb/> nen Blumenkrone umwunden — und bleich und<lb/> verklärt vom Mondſchein der höhern Welt die<lb/> fremde Geſtalt, die groß aus den kleinen Leben¬<lb/> digen unter ihre hohen Todten trat.</p><lb/> <p>Da quoll die goldne Sonne durch die Wol¬<lb/> ken und durch die Thränen hindurch und über¬<lb/> goß mit dem blühenden Abendlicht, mit dem<lb/> jugendlichen Roſen-Öhl ihrer Abendwolken die<lb/> entfärbte Himmelsſchweſter, und das verklärte<lb/> Antlitz blühte wieder jung. Am Himmel ſchlu¬<lb/> gen alle Wolken, berührt von ihren Flügeln,<lb/> als ſie durch ſie zog, in lange rothe Blüthen<lb/> aus — und durch den hohen über die Erde ge¬<lb/> blähten Nebelflor glühten die tauſend Roſen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [389/0401]
auf zu ſpielen und unter dem Schleier wurd'
es ſtill und unbeweglich.
„Dein Kopf iſt ſchwer und kalt, meine Toch¬
ter,“ ſagte die troſtloſe Mutter. „Reißt den
Schleier weg“ rief der Bruder; und als er ihn
herunter zog, ruhte Liane zufrieden und lä¬
chelnd darunter, aber geſtorben — die blauen
Augen offen nach dem Himmel — der verklär¬
te Mund noch Liebe athmend — die jungfräu¬
liche Lilien-Stirn von der tiefer herabgeſunk¬
nen Blumenkrone umwunden — und bleich und
verklärt vom Mondſchein der höhern Welt die
fremde Geſtalt, die groß aus den kleinen Leben¬
digen unter ihre hohen Todten trat.
Da quoll die goldne Sonne durch die Wol¬
ken und durch die Thränen hindurch und über¬
goß mit dem blühenden Abendlicht, mit dem
jugendlichen Roſen-Öhl ihrer Abendwolken die
entfärbte Himmelsſchweſter, und das verklärte
Antlitz blühte wieder jung. Am Himmel ſchlu¬
gen alle Wolken, berührt von ihren Flügeln,
als ſie durch ſie zog, in lange rothe Blüthen
aus — und durch den hohen über die Erde ge¬
blähten Nebelflor glühten die tauſend Roſen
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Zitationshilfe: | Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/401>, abgerufen am 16.02.2025. |