Herz widerstrebte schmerzlich dem Schweigen. Sie berief sich auf ihren hereintretenden Bru¬ der. Aber dieser war ganz Albano's Mei¬ nung: die Weiber (setzte er, nicht in der besten Laune, hinzu) mögen lieber von als in der Liebe sprechen, die Männer umgekehrt. -- "Nein, (sagte Liane entschieden,) wenn mich meine Mutter fragt, so kann ich nicht unwahr seyn." -- "Gott! (rief Albano erschrocken aus,) wer könnte auch das wünschen?" Denn auch ihm war freie Wahrheit der offne Helm des Seelenadels, nur sagte er sie bloß aus Selbst¬ achtung und Liane sie aus Menschenliebe.
Rabette kam mit dem Thee-Zeug und einer Flasche, worin für den Hauptmann Thee- Mark und Elementarfeuer oder Nerven-Aether war, Arrac. Er ging ungern am Morgen zu Leuten, bei denen er ihn erst am Abend trin¬ ken konnte; Rabette hatte gestern diese Unart gemeint und heute befriedigt. -- "Wie kann das freie Ich, (sagte der gesunde Albano oft zu ihm,) sich zum Knechte der Sinnen und Ein¬ geweide machen? Sind wir ohnehin nicht eng¬ gebunden genug durch die Körper-Bande und
Herz widerſtrebte ſchmerzlich dem Schweigen. Sie berief ſich auf ihren hereintretenden Bru¬ der. Aber dieſer war ganz Albano's Mei¬ nung: die Weiber (ſetzte er, nicht in der beſten Laune, hinzu) mögen lieber von als in der Liebe ſprechen, die Männer umgekehrt. — „Nein, (ſagte Liane entſchieden,) wenn mich meine Mutter fragt, ſo kann ich nicht unwahr ſeyn.“ — „Gott! (rief Albano erſchrocken aus,) wer könnte auch das wünſchen?“ Denn auch ihm war freie Wahrheit der offne Helm des Seelenadels, nur ſagte er ſie bloß aus Selbſt¬ achtung und Liane ſie aus Menſchenliebe.
Rabette kam mit dem Thee-Zeug und einer Flaſche, worin für den Hauptmann Thee- Mark und Elementarfeuer oder Nerven-Aether war, Arrac. Er ging ungern am Morgen zu Leuten, bei denen er ihn erſt am Abend trin¬ ken konnte; Rabette hatte geſtern dieſe Unart gemeint und heute befriedigt. — „Wie kann das freie Ich, (ſagte der geſunde Albano oft zu ihm,) ſich zum Knechte der Sinnen und Ein¬ geweide machen? Sind wir ohnehin nicht eng¬ gebunden genug durch die Körper-Bande und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0040"n="28"/>
Herz widerſtrebte ſchmerzlich dem Schweigen.<lb/>
Sie berief ſich auf ihren hereintretenden Bru¬<lb/>
der. Aber dieſer war ganz Albano's Mei¬<lb/>
nung: die Weiber (ſetzte er, nicht in der beſten<lb/>
Laune, hinzu) mögen lieber <hirendition="#g">von</hi> als <hirendition="#g">in</hi> der<lb/>
Liebe ſprechen, die Männer umgekehrt. —<lb/>„Nein, (ſagte Liane entſchieden,) <hirendition="#g">wenn</hi> mich<lb/>
meine Mutter fragt, ſo kann ich nicht unwahr<lb/>ſeyn.“—„Gott! (rief Albano erſchrocken aus,)<lb/>
wer könnte auch das wünſchen?“ Denn auch<lb/>
ihm war freie Wahrheit der offne Helm des<lb/>
Seelenadels, nur ſagte er ſie bloß aus Selbſt¬<lb/>
achtung und Liane ſie aus Menſchenliebe.</p><lb/><p>Rabette kam mit dem Thee-Zeug und einer<lb/>
Flaſche, worin für den Hauptmann Thee-<lb/>
Mark und Elementarfeuer oder Nerven-Aether<lb/>
war, Arrac. Er ging ungern am Morgen zu<lb/>
Leuten, bei denen er ihn erſt am Abend trin¬<lb/>
ken konnte; Rabette hatte geſtern dieſe Unart<lb/>
gemeint und heute befriedigt. —„Wie kann<lb/>
das freie Ich, (ſagte der geſunde Albano oft<lb/>
zu ihm,) ſich zum Knechte der Sinnen und Ein¬<lb/>
geweide machen? Sind wir ohnehin nicht eng¬<lb/>
gebunden genug durch die Körper-Bande und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[28/0040]
Herz widerſtrebte ſchmerzlich dem Schweigen.
Sie berief ſich auf ihren hereintretenden Bru¬
der. Aber dieſer war ganz Albano's Mei¬
nung: die Weiber (ſetzte er, nicht in der beſten
Laune, hinzu) mögen lieber von als in der
Liebe ſprechen, die Männer umgekehrt. —
„Nein, (ſagte Liane entſchieden,) wenn mich
meine Mutter fragt, ſo kann ich nicht unwahr
ſeyn.“ — „Gott! (rief Albano erſchrocken aus,)
wer könnte auch das wünſchen?“ Denn auch
ihm war freie Wahrheit der offne Helm des
Seelenadels, nur ſagte er ſie bloß aus Selbſt¬
achtung und Liane ſie aus Menſchenliebe.
Rabette kam mit dem Thee-Zeug und einer
Flaſche, worin für den Hauptmann Thee-
Mark und Elementarfeuer oder Nerven-Aether
war, Arrac. Er ging ungern am Morgen zu
Leuten, bei denen er ihn erſt am Abend trin¬
ken konnte; Rabette hatte geſtern dieſe Unart
gemeint und heute befriedigt. — „Wie kann
das freie Ich, (ſagte der geſunde Albano oft
zu ihm,) ſich zum Knechte der Sinnen und Ein¬
geweide machen? Sind wir ohnehin nicht eng¬
gebunden genug durch die Körper-Bande und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/40>, abgerufen am 11.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.