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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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Da stürzte die Mutter ins Zimmer mit
andern Menschen. Der todesschlaftrunkne
Blick und das Irrereden sagten an, daß nun
der kalte Schlaf mit offnen Augen komme.
"Erscheine mir, Du bist ja bei Gott!" rief Al¬
bano sinnlos. Umsonst wollt' ihn Augusti weg¬
führen; ohne Antwort, ohne Regung stand er
eingewurzelt fest. Liane wurde immer blasser,
der Tod schmückte sie mit dem weissen Braut¬
kleid des Himmels an; da hörte sein weinen¬
des Auge auf, die Quaal gefror, und das wei¬
te, schwere Eis der Pein füllte die Brust.

Unverrückt hieng Lianens Blick an einer
lichten Stelle des sanft bezognen Abendhim¬
mels wie forschend und erwartend, daß der
Himmel aufgehe und die Sonne gebe. Gleich¬
gültig gegen alle stürmte ihr Bruder jammernd
herein: "geh' nicht zu Gott, ich seh' Dich sonst
"nie mehr -- sieh mich an, segne, heilige mich,
"gieb mir deinen Frieden, Schwester!" -- Sie
war still in die lichter aufbrechende Sonnen¬
wolke vertieft. "Sie hält Dich für mich (sag¬
"te Albano zu Karl wegen ihrer ähnlichen
"Stimmen), und giebt Dir keinen Frieden!"

Titan. III. B b

Da ſtürzte die Mutter ins Zimmer mit
andern Menſchen. Der todesſchlaftrunkne
Blick und das Irrereden ſagten an, daß nun
der kalte Schlaf mit offnen Augen komme.
„Erſcheine mir, Du biſt ja bei Gott!“ rief Al¬
bano ſinnlos. Umſonſt wollt' ihn Auguſti weg¬
führen; ohne Antwort, ohne Regung ſtand er
eingewurzelt feſt. Liane wurde immer blaſſer,
der Tod ſchmückte ſie mit dem weiſſen Braut¬
kleid des Himmels an; da hörte ſein weinen¬
des Auge auf, die Quaal gefror, und das wei¬
te, ſchwere Eis der Pein füllte die Bruſt.

Unverrückt hieng Lianens Blick an einer
lichten Stelle des ſanft bezognen Abendhim¬
mels wie forſchend und erwartend, daß der
Himmel aufgehe und die Sonne gebe. Gleich¬
gültig gegen alle ſtürmte ihr Bruder jammernd
herein: „geh' nicht zu Gott, ich ſeh' Dich ſonſt
„nie mehr — ſieh mich an, ſegne, heilige mich,
„gieb mir deinen Frieden, Schweſter!“ — Sie
war ſtill in die lichter aufbrechende Sonnen¬
wolke vertieft. „Sie hält Dich für mich (ſag¬
„te Albano zu Karl wegen ihrer ähnlichen
„Stimmen), und giebt Dir keinen Frieden!“

Titan. III. B b
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[385/0397] Da ſtürzte die Mutter ins Zimmer mit andern Menſchen. Der todesſchlaftrunkne Blick und das Irrereden ſagten an, daß nun der kalte Schlaf mit offnen Augen komme. „Erſcheine mir, Du biſt ja bei Gott!“ rief Al¬ bano ſinnlos. Umſonſt wollt' ihn Auguſti weg¬ führen; ohne Antwort, ohne Regung ſtand er eingewurzelt feſt. Liane wurde immer blaſſer, der Tod ſchmückte ſie mit dem weiſſen Braut¬ kleid des Himmels an; da hörte ſein weinen¬ des Auge auf, die Quaal gefror, und das wei¬ te, ſchwere Eis der Pein füllte die Bruſt. Unverrückt hieng Lianens Blick an einer lichten Stelle des ſanft bezognen Abendhim¬ mels wie forſchend und erwartend, daß der Himmel aufgehe und die Sonne gebe. Gleich¬ gültig gegen alle ſtürmte ihr Bruder jammernd herein: „geh' nicht zu Gott, ich ſeh' Dich ſonſt „nie mehr — ſieh mich an, ſegne, heilige mich, „gieb mir deinen Frieden, Schweſter!“ — Sie war ſtill in die lichter aufbrechende Sonnen¬ wolke vertieft. „Sie hält Dich für mich (ſag¬ „te Albano zu Karl wegen ihrer ähnlichen „Stimmen), und giebt Dir keinen Frieden!“ Titan. III. B b

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/397>, abgerufen am 22.11.2024.