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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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Blieb aber Liane zurück aus eigner oder
fremder Schuld: so war es sein Vorsatz und
Schwur, vor keiner Gewalt, selber der väterli¬
chen nicht, aus dem Vaterland der ewigen
Braut zu weichen, sondern einzuwurzeln vor
ihrem Kranken-Kloster bis sie daraus entweder
frei und heiter wieder in das offne Leben geht
oder dunkel-eingeschleiert sich ins finstere Non¬
nen-Chor der Todten verbirgt. O, wieder zu
kommen, sie im romantischen Boden der alten
Zeit zu suchen, und sie nirgends zu finden als
hinter dem Sprach-Gitter der Erbgruft -- die¬
sen Gedanken hielt sein Herz nicht aus.

Die Fürstin führte ihm selber die Gelegen¬
heit seiner Bitte zu; sie schickte ihm zu einer
astronomischen Partie auf der Sternwarte eine
Einladung durch ihre treue Hofdame Halter¬
mann: "Ich soll Ihnen bloß Folgendes wört¬
"lich schreiben (schreibt diese): Kommen Sie
"heute auch aufs Observatorium, ich und mei¬
"ne gute Haltermann gehen dahin." Diese
Haltermann, ein Fräulein von wenigen Reizen
und Geistesschwungfedern, aber vielen Glau¬
benslehren und frühzeitigen Runzeln, hieng der

Blieb aber Liane zurück aus eigner oder
fremder Schuld: ſo war es ſein Vorſatz und
Schwur, vor keiner Gewalt, ſelber der väterli¬
chen nicht, aus dem Vaterland der ewigen
Braut zu weichen, ſondern einzuwurzeln vor
ihrem Kranken-Kloſter bis ſie daraus entweder
frei und heiter wieder in das offne Leben geht
oder dunkel-eingeſchleiert ſich ins finſtere Non¬
nen-Chor der Todten verbirgt. O, wieder zu
kommen, ſie im romantiſchen Boden der alten
Zeit zu ſuchen, und ſie nirgends zu finden als
hinter dem Sprach-Gitter der Erbgruft — die¬
ſen Gedanken hielt ſein Herz nicht aus.

Die Fürſtin führte ihm ſelber die Gelegen¬
heit ſeiner Bitte zu; ſie ſchickte ihm zu einer
aſtronomiſchen Partie auf der Sternwarte eine
Einladung durch ihre treue Hofdame Halter¬
mann: „Ich ſoll Ihnen bloß Folgendes wört¬
„lich ſchreiben (ſchreibt dieſe): Kommen Sie
„heute auch aufs Obſervatorium, ich und mei¬
„ne gute Haltermann gehen dahin.“ Dieſe
Haltermann, ein Fräulein von wenigen Reizen
und Geiſtesſchwungfedern, aber vielen Glau¬
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[328/0340] Blieb aber Liane zurück aus eigner oder fremder Schuld: ſo war es ſein Vorſatz und Schwur, vor keiner Gewalt, ſelber der väterli¬ chen nicht, aus dem Vaterland der ewigen Braut zu weichen, ſondern einzuwurzeln vor ihrem Kranken-Kloſter bis ſie daraus entweder frei und heiter wieder in das offne Leben geht oder dunkel-eingeſchleiert ſich ins finſtere Non¬ nen-Chor der Todten verbirgt. O, wieder zu kommen, ſie im romantiſchen Boden der alten Zeit zu ſuchen, und ſie nirgends zu finden als hinter dem Sprach-Gitter der Erbgruft — die¬ ſen Gedanken hielt ſein Herz nicht aus. Die Fürſtin führte ihm ſelber die Gelegen¬ heit ſeiner Bitte zu; ſie ſchickte ihm zu einer aſtronomiſchen Partie auf der Sternwarte eine Einladung durch ihre treue Hofdame Halter¬ mann: „Ich ſoll Ihnen bloß Folgendes wört¬ „lich ſchreiben (ſchreibt dieſe): Kommen Sie „heute auch aufs Obſervatorium, ich und mei¬ „ne gute Haltermann gehen dahin.“ Dieſe Haltermann, ein Fräulein von wenigen Reizen und Geiſtesſchwungfedern, aber vielen Glau¬ benslehren und frühzeitigen Runzeln, hieng der

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/340>, abgerufen am 24.11.2024.