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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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Schönwäsche und Schutt in sich verbarg, ver¬
sehen worden; er halte ihn belehrt, daß sie kalt
wie ein erhaben-geschliffnes Eisstück, nie selber,
sondern nur andere schmelzen wolle; daß sie zu
den seltnern Koketten gehöre, welche wie die
süßen Weine durch Wärme sauer werden, und
nur durch Kälte süßer; und daß sie daher eine
der schlimmsten Angewohnheiten -- die jedem
die ärgsten Händel mache -- an sich habe. Es
war nämlich folgende: sie hatte ein Herz und
wollte es nie wie ein todtes Kapital in der
Brust leiden sondern es sollte sich verzinsen und
umlaufen -- Der Liebhaber wurde deshalb
anfangs von Tag zu Tag aufgeweckter und
heitrer, dann von Stund zu Stund -- Er wu߬
te alle Holzwege, Hohlwege, Diebsgänge und
kürzere Fußsteige in diesem Liebesgarten ordent¬
lich auswendig und wollte die Schäfer-Viertel¬
stunde auf seiner Repetiruhr voraussagen, wo
er anlangen würde in der Laube -- Es war
ihm gar nicht unbekannt (sondern komisch), was
es bedeute, daß er bei ihr von Sentenzen zu
Blicken, von diesen zum Händekuß, dann zum
Mundkuß gelangte, worauf er sich im Wisthon¬

Schönwäſche und Schutt in ſich verbarg, ver¬
ſehen worden; er halte ihn belehrt, daß ſie kalt
wie ein erhaben-geſchliffnes Eisſtück, nie ſelber,
ſondern nur andere ſchmelzen wolle; daß ſie zu
den ſeltnern Koketten gehöre, welche wie die
ſüßen Weine durch Wärme ſauer werden, und
nur durch Kälte ſüßer; und daß ſie daher eine
der ſchlimmſten Angewohnheiten — die jedem
die ärgſten Händel mache — an ſich habe. Es
war nämlich folgende: ſie hatte ein Herz und
wollte es nie wie ein todtes Kapital in der
Bruſt leiden ſondern es ſollte ſich verzinſen und
umlaufen — Der Liebhaber wurde deshalb
anfangs von Tag zu Tag aufgeweckter und
heitrer, dann von Stund zu Stund — Er wu߬
te alle Holzwege, Hohlwege, Diebsgänge und
kürzere Fußſteige in dieſem Liebesgarten ordent¬
lich auswendig und wollte die Schäfer-Viertel¬
ſtunde auf ſeiner Repetiruhr vorausſagen, wo
er anlangen würde in der Laube — Es war
ihm gar nicht unbekannt (ſondern komiſch), was
es bedeute, daß er bei ihr von Sentenzen zu
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[312/0324] Schönwäſche und Schutt in ſich verbarg, ver¬ ſehen worden; er halte ihn belehrt, daß ſie kalt wie ein erhaben-geſchliffnes Eisſtück, nie ſelber, ſondern nur andere ſchmelzen wolle; daß ſie zu den ſeltnern Koketten gehöre, welche wie die ſüßen Weine durch Wärme ſauer werden, und nur durch Kälte ſüßer; und daß ſie daher eine der ſchlimmſten Angewohnheiten — die jedem die ärgſten Händel mache — an ſich habe. Es war nämlich folgende: ſie hatte ein Herz und wollte es nie wie ein todtes Kapital in der Bruſt leiden ſondern es ſollte ſich verzinſen und umlaufen — Der Liebhaber wurde deshalb anfangs von Tag zu Tag aufgeweckter und heitrer, dann von Stund zu Stund — Er wu߬ te alle Holzwege, Hohlwege, Diebsgänge und kürzere Fußſteige in dieſem Liebesgarten ordent¬ lich auswendig und wollte die Schäfer-Viertel¬ ſtunde auf ſeiner Repetiruhr vorausſagen, wo er anlangen würde in der Laube — Es war ihm gar nicht unbekannt (ſondern komiſch), was es bedeute, daß er bei ihr von Sentenzen zu Blicken, von dieſen zum Händekuß, dann zum Mundkuß gelangte, worauf er ſich im Wiſthon¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/324>, abgerufen am 24.11.2024.