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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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bei ihm blos voraus; seine Vorzüge waren nur
ihre Foderungen und seine Schutzbriefe; sie
machte seine Individualität weder zu ihrem
Muster noch zu ihrem Wiederschein, beide wa¬
ren Mahler, keine Gemählde. Er hörte zwar
oft, daß sie männlich-strenge sey, zumal
als Befehlshaberin, aber doch nicht, daß sie
weiblich-grausam werde. Für das gewöhnliche
Höflings-Gewürme, das sich auf seinen Wurm-
Ringen nur durch Kriechen Höhen giebt, war
sie abstoßend und marternd; ob sie gleich als
Neu-Gekommene, hätte ein neugebohrnes Kind
seyn sollen, das den ältern Kindern Rosinen
mitbringt. Am Sonntage, wo an Höfen, wie
in Berlin auf der Bühne, immer geistige Volks¬
stücke aufgeführet werden, war sie unter den
Sonntagskindern, die mehr Geister sehen als
haben, ein Montagskind, das sich einen zu fin¬
den wünscht, der -- sey er immer nicht geadelt
-- doch ein Original von der Kopie zu unter¬
scheiden weiß sowohl am eigenen Ich als im
-- Bilderkabinet. Deswegen dankten viele Her¬
ren und noch mehr Damen Gott, wenn sie
ihr Nichts zu sagen brauchten als: Gott befohlen!

bei ihm blos voraus; ſeine Vorzüge waren nur
ihre Foderungen und ſeine Schutzbriefe; ſie
machte ſeine Individualität weder zu ihrem
Muſter noch zu ihrem Wiederſchein, beide wa¬
ren Mahler, keine Gemählde. Er hörte zwar
oft, daß ſie männlich-ſtrenge ſey, zumal
als Befehlshaberin, aber doch nicht, daß ſie
weiblich-grauſam werde. Für das gewöhnliche
Höflings-Gewürme, das ſich auf ſeinen Wurm-
Ringen nur durch Kriechen Höhen giebt, war
ſie abſtoßend und marternd; ob ſie gleich als
Neu-Gekommene, hätte ein neugebohrnes Kind
ſeyn ſollen, das den ältern Kindern Roſinen
mitbringt. Am Sonntage, wo an Höfen, wie
in Berlin auf der Bühne, immer geiſtige Volks¬
ſtücke aufgeführet werden, war ſie unter den
Sonntagskindern, die mehr Geiſter ſehen als
haben, ein Montagskind, das ſich einen zu fin¬
den wünſcht, der — ſey er immer nicht geadelt
— doch ein Original von der Kopie zu unter¬
ſcheiden weiß ſowohl am eigenen Ich als im
— Bilderkabinet. Deswegen dankten viele Her¬
ren und noch mehr Damen Gott, wenn ſie
ihr Nichts zu ſagen brauchten als: Gott befohlen!

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[303/0315] bei ihm blos voraus; ſeine Vorzüge waren nur ihre Foderungen und ſeine Schutzbriefe; ſie machte ſeine Individualität weder zu ihrem Muſter noch zu ihrem Wiederſchein, beide wa¬ ren Mahler, keine Gemählde. Er hörte zwar oft, daß ſie männlich-ſtrenge ſey, zumal als Befehlshaberin, aber doch nicht, daß ſie weiblich-grauſam werde. Für das gewöhnliche Höflings-Gewürme, das ſich auf ſeinen Wurm- Ringen nur durch Kriechen Höhen giebt, war ſie abſtoßend und marternd; ob ſie gleich als Neu-Gekommene, hätte ein neugebohrnes Kind ſeyn ſollen, das den ältern Kindern Roſinen mitbringt. Am Sonntage, wo an Höfen, wie in Berlin auf der Bühne, immer geiſtige Volks¬ ſtücke aufgeführet werden, war ſie unter den Sonntagskindern, die mehr Geiſter ſehen als haben, ein Montagskind, das ſich einen zu fin¬ den wünſcht, der — ſey er immer nicht geadelt — doch ein Original von der Kopie zu unter¬ ſcheiden weiß ſowohl am eigenen Ich als im — Bilderkabinet. Deswegen dankten viele Her¬ ren und noch mehr Damen Gott, wenn ſie ihr Nichts zu ſagen brauchten als: Gott befohlen!

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/315>, abgerufen am 24.11.2024.