schen Feuer ist mein Baum. Wenn so zuwei¬ len die Eingeweidewürmer des Ichs, Erbo¬ ßung, Entzückung, Liebe und dergleichen wie¬ der herum kriechen und nagen, und einer den andern frisset: so seh' ich vom Ich her¬ unter ihnen zu; wie Polypen zerschneide und verkehr' ich sie, stecke sie ineinander. Dann seh' ich wieder dem Zusehen zu und da das ins Unendliche geht, was hat man denn von Al¬ lem? Wenn Andere einen Glaubens-Idealis¬ mus haben, so hab' ich einen Herzens-Idealis¬ mus, und jeder, der alle Empfindungen oft auf dem Theater, dem Papier und dem Erdboden durchgemacht, ist so. Wozu dients? -- Wenn du jetzt stürbest, sag' ich mir oft, so wäre ja Alles, da alle Radien des Lebens in den kleinen Punkt eines Augenblicks zusammenlaufen, weg¬ gewischt, unsichtbar; mir ist dann, als wär' ich Nichts gewesen. Oft seh' ich die Berge und Flüsse und den Boden um mich an und mir ist, als könnten sie jeden Augenblick auseinander flattern und verrauchen und ich mit. Das künftige Leben, da das anwesende kaum eines ist, und Alles, was daran hängt, gehört unter
ſchen Feuer iſt mein Baum. Wenn ſo zuwei¬ len die Eingeweidewürmer des Ichs, Erbo¬ ßung, Entzückung, Liebe und dergleichen wie¬ der herum kriechen und nagen, und einer den andern friſſet: ſo ſeh' ich vom Ich her¬ unter ihnen zu; wie Polypen zerſchneide und verkehr' ich ſie, ſtecke ſie ineinander. Dann ſeh' ich wieder dem Zuſehen zu und da das ins Unendliche geht, was hat man denn von Al¬ lem? Wenn Andere einen Glaubens-Idealis¬ mus haben, ſo hab' ich einen Herzens-Idealis¬ mus, und jeder, der alle Empfindungen oft auf dem Theater, dem Papier und dem Erdboden durchgemacht, iſt ſo. Wozu dients? — Wenn du jetzt ſtürbeſt, ſag' ich mir oft, ſo wäre ja Alles, da alle Radien des Lebens in den kleinen Punkt eines Augenblicks zuſammenlaufen, weg¬ gewiſcht, unſichtbar; mir iſt dann, als wär' ich Nichts geweſen. Oft ſeh' ich die Berge und Flüſſe und den Boden um mich an und mir iſt, als könnten ſie jeden Augenblick auseinander flattern und verrauchen und ich mit. Das künftige Leben, da das anweſende kaum eines iſt, und Alles, was daran hängt, gehört unter
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ſchen Feuer iſt mein Baum. Wenn ſo zuwei¬
len die Eingeweidewürmer des Ichs, Erbo¬
ßung, Entzückung, Liebe und dergleichen wie¬
der herum kriechen und nagen, und einer
den andern friſſet: ſo ſeh' ich vom Ich her¬
unter ihnen zu; wie Polypen zerſchneide und
verkehr' ich ſie, ſtecke ſie ineinander. Dann ſeh'
ich wieder dem Zuſehen zu und da das ins
Unendliche geht, was hat man denn von Al¬
lem? Wenn Andere einen Glaubens-Idealis¬
mus haben, ſo hab' ich einen Herzens-Idealis¬
mus, und jeder, der alle Empfindungen oft auf
dem Theater, dem Papier und dem Erdboden
durchgemacht, iſt ſo. Wozu dients? — Wenn
du jetzt ſtürbeſt, ſag' ich mir oft, ſo wäre ja
Alles, da alle Radien des Lebens in den kleinen
Punkt eines Augenblicks zuſammenlaufen, weg¬
gewiſcht, unſichtbar; mir iſt dann, als wär' ich
Nichts geweſen. Oft ſeh' ich die Berge und
Flüſſe und den Boden um mich an und mir iſt,
als könnten ſie jeden Augenblick auseinander
flattern und verrauchen und ich mit. Das
künftige Leben, da das anweſende kaum eines
iſt, und Alles, was daran hängt, gehört unter
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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/291>, abgerufen am 31.01.2025.
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