nicht in Minen und Thränen bestanden, daß er am Ende selber einsah, er habe Recht; und der von diesem stürzenden, glatten Maienbaum erschlagnen Maiblume blieb fast Nichts übrig als das rechte letzte Wort, nämlich die stumme Lippe, die es dem Mörder nicht erst meldet, daß er das Herz getroffen und zerstöret habe.
88. Zykel.
Hier ist Roquairols Brief an Albano: "Einmal muß es geschehen, wir müssen uns se¬ hen wie wir sind und dann hassen, wenn es seyn muß. Ich mache Deine Schwester unglücklich, Du meine und mich dazu; das hebt sich auf ge¬ genseitig. Du verzerrest Dich aus meinem En¬ gel immer heftiger zu meinem Würgengel. Wür¬ ge mich denn, aber ich packe Dich auch.
Jetzt sieh mich an, ich ziehe meine Maske ab, ich habe konvulsivische Bewegungen auf dem Gesicht, wie Leute, die genossenen Gift über¬ standen! Ich habe mich in Gift betrunken, ich habe die Giftkugel, die Erdkugel verschluckt. Frei heraus! Ich jauchze nicht mehr, ich glau¬ be Nichts mehr, ich jammere nicht einmal recht tapfer. Ausgehöhlt, verkohlt vom phantasti¬
nicht in Minen und Thränen beſtanden, daß er am Ende ſelber einſah, er habe Recht; und der von dieſem ſtürzenden, glatten Maienbaum erſchlagnen Maiblume blieb faſt Nichts übrig als das rechte letzte Wort, nämlich die ſtumme Lippe, die es dem Mörder nicht erſt meldet, daß er das Herz getroffen und zerſtöret habe.
88. Zykel.
Hier iſt Roquairols Brief an Albano: „Einmal muß es geſchehen, wir müſſen uns ſe¬ hen wie wir ſind und dann haſſen, wenn es ſeyn muß. Ich mache Deine Schweſter unglücklich, Du meine und mich dazu; das hebt ſich auf ge¬ genſeitig. Du verzerreſt Dich aus meinem En¬ gel immer heftiger zu meinem Würgengel. Wür¬ ge mich denn, aber ich packe Dich auch.
Jetzt ſieh mich an, ich ziehe meine Maſke ab, ich habe konvulſiviſche Bewegungen auf dem Geſicht, wie Leute, die genoſſenen Gift über¬ ſtanden! Ich habe mich in Gift betrunken, ich habe die Giftkugel, die Erdkugel verſchluckt. Frei heraus! Ich jauchze nicht mehr, ich glau¬ be Nichts mehr, ich jammere nicht einmal recht tapfer. Ausgehöhlt, verkohlt vom phantaſti¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0290"n="278"/>
nicht in Minen und Thränen beſtanden, daß<lb/>
er am Ende ſelber einſah, er habe Recht; und<lb/>
der von dieſem ſtürzenden, glatten Maienbaum<lb/>
erſchlagnen Maiblume blieb faſt Nichts übrig<lb/>
als das rechte letzte Wort, nämlich die ſtumme<lb/>
Lippe, die es dem Mörder nicht erſt meldet,<lb/>
daß er das Herz getroffen und zerſtöret habe.</p><lb/></div><divn="2"><head>88. <hirendition="#g">Zykel.</hi><lb/></head><p>Hier iſt Roquairols Brief an Albano:<lb/>„Einmal muß es geſchehen, wir müſſen uns ſe¬<lb/>
hen wie wir ſind und dann haſſen, wenn es ſeyn<lb/>
muß. Ich mache Deine Schweſter unglücklich,<lb/>
Du meine und mich dazu; das hebt ſich auf ge¬<lb/>
genſeitig. Du verzerreſt Dich aus meinem En¬<lb/>
gel immer heftiger zu meinem Würgengel. Wür¬<lb/>
ge mich denn, aber ich packe Dich auch.</p><lb/><p>Jetzt ſieh mich an, ich ziehe meine Maſke<lb/>
ab, ich habe konvulſiviſche Bewegungen auf<lb/>
dem Geſicht, wie Leute, die genoſſenen Gift über¬<lb/>ſtanden! Ich habe mich in Gift betrunken, ich<lb/>
habe die Giftkugel, die Erdkugel verſchluckt.<lb/>
Frei heraus! Ich jauchze nicht mehr, ich glau¬<lb/>
be Nichts mehr, ich jammere nicht einmal recht<lb/>
tapfer. Ausgehöhlt, verkohlt vom phantaſti¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[278/0290]
nicht in Minen und Thränen beſtanden, daß
er am Ende ſelber einſah, er habe Recht; und
der von dieſem ſtürzenden, glatten Maienbaum
erſchlagnen Maiblume blieb faſt Nichts übrig
als das rechte letzte Wort, nämlich die ſtumme
Lippe, die es dem Mörder nicht erſt meldet,
daß er das Herz getroffen und zerſtöret habe.
88. Zykel.
Hier iſt Roquairols Brief an Albano:
„Einmal muß es geſchehen, wir müſſen uns ſe¬
hen wie wir ſind und dann haſſen, wenn es ſeyn
muß. Ich mache Deine Schweſter unglücklich,
Du meine und mich dazu; das hebt ſich auf ge¬
genſeitig. Du verzerreſt Dich aus meinem En¬
gel immer heftiger zu meinem Würgengel. Wür¬
ge mich denn, aber ich packe Dich auch.
Jetzt ſieh mich an, ich ziehe meine Maſke
ab, ich habe konvulſiviſche Bewegungen auf
dem Geſicht, wie Leute, die genoſſenen Gift über¬
ſtanden! Ich habe mich in Gift betrunken, ich
habe die Giftkugel, die Erdkugel verſchluckt.
Frei heraus! Ich jauchze nicht mehr, ich glau¬
be Nichts mehr, ich jammere nicht einmal recht
tapfer. Ausgehöhlt, verkohlt vom phantaſti¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/290>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.