Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.verborgen einander und dann reiheten sich ihre Zuweilen fuhr der Schmerz an sie herüber, verborgen einander und dann reiheten ſich ihre Zuweilen fuhr der Schmerz an ſie herüber, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0246" n="234"/> verborgen einander und dann reiheten ſich ihre<lb/> Seelen wie Blumen-Blätter zu Einem ſüßen<lb/> Kelche zuſammen. Die Fürſtinn ſprach ernſt über<lb/> Wiſſenſchaften und gewann ſogar die Mutter,<lb/> der ſie in männlicher Geſellſchaft weniger ge¬<lb/> fallen. Abends vor dem Einſchlafen flog noch<lb/> wie aus dem Freudenhimmel Karoline in ihr<lb/> Schattenreich herab; und wuchs täglich an<lb/> Glanz und Farbe, ſprach aber nicht mehr; und<lb/> Liane entſchlummerte ſanft, indem ſie einander<lb/> anblickten.</p><lb/> <p>Zuweilen fuhr der Schmerz an ſie herüber,<lb/> daß ſie vielleicht ihre theuern Geſtalten, zumal<lb/> ihre Mutter nie mehr ſehe; dann war ihr als ſey<lb/> ſie ſelber unſichtbar und wandle ſchon allein im<lb/> dunkeln, tiefen Gange zur zweiten Welt und hö¬<lb/> re die Freundinnen an der Pforte weit hinter<lb/> ſich ihr nachrufen — Da liebte ſie zärtlich wie<lb/> aus dem Tode herüber und freuete ſich auf das<lb/> große Wiederſehen. Spener beſuchte ſeine Schü¬<lb/> lerin täglich; ſeine männliche Stimme voll Stär¬<lb/> kung und Troſt war in ihrem Dunkel die Abend¬<lb/> gebetglocke, die den Wanderer aus der düſtern<lb/> Waldung wieder zu froheren Lichtern führt.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [234/0246]
verborgen einander und dann reiheten ſich ihre
Seelen wie Blumen-Blätter zu Einem ſüßen
Kelche zuſammen. Die Fürſtinn ſprach ernſt über
Wiſſenſchaften und gewann ſogar die Mutter,
der ſie in männlicher Geſellſchaft weniger ge¬
fallen. Abends vor dem Einſchlafen flog noch
wie aus dem Freudenhimmel Karoline in ihr
Schattenreich herab; und wuchs täglich an
Glanz und Farbe, ſprach aber nicht mehr; und
Liane entſchlummerte ſanft, indem ſie einander
anblickten.
Zuweilen fuhr der Schmerz an ſie herüber,
daß ſie vielleicht ihre theuern Geſtalten, zumal
ihre Mutter nie mehr ſehe; dann war ihr als ſey
ſie ſelber unſichtbar und wandle ſchon allein im
dunkeln, tiefen Gange zur zweiten Welt und hö¬
re die Freundinnen an der Pforte weit hinter
ſich ihr nachrufen — Da liebte ſie zärtlich wie
aus dem Tode herüber und freuete ſich auf das
große Wiederſehen. Spener beſuchte ſeine Schü¬
lerin täglich; ſeine männliche Stimme voll Stär¬
kung und Troſt war in ihrem Dunkel die Abend¬
gebetglocke, die den Wanderer aus der düſtern
Waldung wieder zu froheren Lichtern führt.
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Zitationshilfe: | Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/246>, abgerufen am 05.07.2024. |