Gärtner kam aus dem Hofe und sagte vorüber¬ gehend seiner fragenden Frau: Sie sieht. -- "O, guter Mann, (sagte Albano,) was sagt Er?" -- "Gehen Sie nur hinauf!" versetzt' er und schritt ämsig weiter. Jetzt kam Bouverot zu Fuße -- Albano trat ihm mit einem kurzen Verbeugen und Gruße in den Weg -- Bouverot sah ihn ein Wenig an: "ich habe nicht die Ehre, Sie zu kennen" sagt' er wild und eilte davon.
84. Zykel.
Schauet nun die blinde Liane näher an!
Von dem Tage an, wo sie zerstöret heim¬ geführet wurde von der Mutter, fieng sich un¬ ter ihrer Sonnenfinsterniß mit Verweilen ein kühleres, ruhendes Leben für sie an. Die Erde hatte sich verändert, ihre Pflichten gegen diese schienen ihr abgethan -- der Silberblick der Ju¬ gend wie ein Menschenblick nun erblindet, ihre kurzen Freuden, diese kleinen Maienblümchen, schon unter dem Morgenstern abgepflückt -- ihr erster Geliebter leider wie die Mutter es weissagte, nicht so fromm und zart als sie ge¬ dacht, sondern sehr männlich, rauh und wild
Gärtner kam aus dem Hofe und ſagte vorüber¬ gehend ſeiner fragenden Frau: Sie ſieht. — „O, guter Mann, (ſagte Albano,) was ſagt Er?“ — „Gehen Sie nur hinauf!“ verſetzt' er und ſchritt ämſig weiter. Jetzt kam Bouverot zu Fuße — Albano trat ihm mit einem kurzen Verbeugen und Gruße in den Weg — Bouverot ſah ihn ein Wenig an: „ich habe nicht die Ehre, Sie zu kennen“ ſagt' er wild und eilte davon.
84. Zykel.
Schauet nun die blinde Liane näher an!
Von dem Tage an, wo ſie zerſtöret heim¬ geführet wurde von der Mutter, fieng ſich un¬ ter ihrer Sonnenfinſterniß mit Verweilen ein kühleres, ruhendes Leben für ſie an. Die Erde hatte ſich verändert, ihre Pflichten gegen dieſe ſchienen ihr abgethan — der Silberblick der Ju¬ gend wie ein Menſchenblick nun erblindet, ihre kurzen Freuden, dieſe kleinen Maienblümchen, ſchon unter dem Morgenſtern abgepflückt — ihr erſter Geliebter leider wie die Mutter es weiſſagte, nicht ſo fromm und zart als ſie ge¬ dacht, ſondern ſehr männlich, rauh und wild
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0244"n="232"/>
Gärtner kam aus dem Hofe und ſagte vorüber¬<lb/>
gehend ſeiner fragenden Frau: Sie ſieht. —„O,<lb/>
guter Mann, (ſagte Albano,) was ſagt Er?“—<lb/>„Gehen Sie nur hinauf!“ verſetzt' er und ſchritt<lb/>
ämſig weiter. Jetzt kam Bouverot zu Fuße —<lb/>
Albano trat ihm mit einem kurzen Verbeugen<lb/>
und Gruße in den Weg — Bouverot ſah ihn<lb/>
ein Wenig an: „ich habe nicht die Ehre, Sie zu<lb/>
kennen“ſagt' er wild und eilte davon.</p><lb/></div><divn="2"><head>84. <hirendition="#g">Zykel.</hi><lb/></head><p>Schauet nun die blinde Liane näher an!</p><lb/><p>Von dem Tage an, wo ſie zerſtöret heim¬<lb/>
geführet wurde von der Mutter, fieng ſich un¬<lb/>
ter ihrer Sonnenfinſterniß mit Verweilen ein<lb/>
kühleres, ruhendes Leben für ſie an. Die Erde<lb/>
hatte ſich verändert, ihre Pflichten gegen dieſe<lb/>ſchienen ihr abgethan — der Silberblick der Ju¬<lb/>
gend wie ein Menſchenblick nun erblindet, ihre<lb/>
kurzen Freuden, dieſe kleinen Maienblümchen,<lb/>ſchon unter dem Morgenſtern abgepflückt —<lb/>
ihr erſter Geliebter leider wie die Mutter es<lb/>
weiſſagte, nicht ſo fromm und zart als ſie ge¬<lb/>
dacht, ſondern ſehr männlich, rauh und wild<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[232/0244]
Gärtner kam aus dem Hofe und ſagte vorüber¬
gehend ſeiner fragenden Frau: Sie ſieht. — „O,
guter Mann, (ſagte Albano,) was ſagt Er?“ —
„Gehen Sie nur hinauf!“ verſetzt' er und ſchritt
ämſig weiter. Jetzt kam Bouverot zu Fuße —
Albano trat ihm mit einem kurzen Verbeugen
und Gruße in den Weg — Bouverot ſah ihn
ein Wenig an: „ich habe nicht die Ehre, Sie zu
kennen“ ſagt' er wild und eilte davon.
84. Zykel.
Schauet nun die blinde Liane näher an!
Von dem Tage an, wo ſie zerſtöret heim¬
geführet wurde von der Mutter, fieng ſich un¬
ter ihrer Sonnenfinſterniß mit Verweilen ein
kühleres, ruhendes Leben für ſie an. Die Erde
hatte ſich verändert, ihre Pflichten gegen dieſe
ſchienen ihr abgethan — der Silberblick der Ju¬
gend wie ein Menſchenblick nun erblindet, ihre
kurzen Freuden, dieſe kleinen Maienblümchen,
ſchon unter dem Morgenſtern abgepflückt —
ihr erſter Geliebter leider wie die Mutter es
weiſſagte, nicht ſo fromm und zart als ſie ge¬
dacht, ſondern ſehr männlich, rauh und wild
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/244>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.