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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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seinem rohen Ton in ihre Nerven; sie bebten
nur erst sanfter wieder, da ein Geistlicher und
sein Diener mit dem Krankenkelch für den
Abendtrank der müden Menschen vorübergien¬
gen. O, der schöne Weg wurd' ihr lang! Sie
mußte das zerfallende Herz, das recht fest und
bestimmt mit dem Geliebten reden sollte, so lan¬
ge mit ermattenden Kräften zusammenhalten.

Der Himmel war blau und doch merkten
beide es nicht, daß es ohne Wolken anfange
dunkel zu werden, da der Mond schon mit sei¬
ner Nacht an der Sonne stand. Als sie über
die Waldbrücke in das lebendige Lilar fuhren,
wo an allen Zweigen die alten Brautkleider
einer geschmückten Vergangenheit hiengen: sag¬
te Liane mit Heftigkeit zur Mutter: "Um Got¬
"tes Willen nicht ins alte Todten-Schloß!" *)
"Wohin denn aber? Er ist dahin bestellt."
sagte die Mutter. -- "Überall hin -- in den Traum¬
tempel -- Er sieht uns schon, dort geht er auf
den Thoren," sagte sie. "Gott, der Allmächtige
sey mit Dir, und sprich nicht lange" sagte die

*) Wo der Fürst gestorben und sie erblindet war.

ſeinem rohen Ton in ihre Nerven; ſie bebten
nur erſt ſanfter wieder, da ein Geiſtlicher und
ſein Diener mit dem Krankenkelch für den
Abendtrank der müden Menſchen vorübergien¬
gen. O, der ſchöne Weg wurd' ihr lang! Sie
mußte das zerfallende Herz, das recht feſt und
beſtimmt mit dem Geliebten reden ſollte, ſo lan¬
ge mit ermattenden Kräften zuſammenhalten.

Der Himmel war blau und doch merkten
beide es nicht, daß es ohne Wolken anfange
dunkel zu werden, da der Mond ſchon mit ſei¬
ner Nacht an der Sonne ſtand. Als ſie über
die Waldbrücke in das lebendige Lilar fuhren,
wo an allen Zweigen die alten Brautkleider
einer geſchmückten Vergangenheit hiengen: ſag¬
te Liane mit Heftigkeit zur Mutter: „Um Got¬
„tes Willen nicht ins alte Todten-Schloß!“ *)
„Wohin denn aber? Er iſt dahin beſtellt.“
ſagte die Mutter. — „Überall hin — in den Traum¬
tempel — Er ſieht uns ſchon, dort geht er auf
den Thoren,“ ſagte ſie. „Gott, der Allmächtige
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[207/0219] ſeinem rohen Ton in ihre Nerven; ſie bebten nur erſt ſanfter wieder, da ein Geiſtlicher und ſein Diener mit dem Krankenkelch für den Abendtrank der müden Menſchen vorübergien¬ gen. O, der ſchöne Weg wurd' ihr lang! Sie mußte das zerfallende Herz, das recht feſt und beſtimmt mit dem Geliebten reden ſollte, ſo lan¬ ge mit ermattenden Kräften zuſammenhalten. Der Himmel war blau und doch merkten beide es nicht, daß es ohne Wolken anfange dunkel zu werden, da der Mond ſchon mit ſei¬ ner Nacht an der Sonne ſtand. Als ſie über die Waldbrücke in das lebendige Lilar fuhren, wo an allen Zweigen die alten Brautkleider einer geſchmückten Vergangenheit hiengen: ſag¬ te Liane mit Heftigkeit zur Mutter: „Um Got¬ „tes Willen nicht ins alte Todten-Schloß!“ *) „Wohin denn aber? Er iſt dahin beſtellt.“ ſagte die Mutter. — „Überall hin — in den Traum¬ tempel — Er ſieht uns ſchon, dort geht er auf den Thoren,“ ſagte ſie. „Gott, der Allmächtige ſey mit Dir, und ſprich nicht lange“ ſagte die *) Wo der Fürſt geſtorben und ſie erblindet war.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/219>, abgerufen am 23.11.2024.