wich. "Habe Dank, Tochter, (sagte die Mutter,) ich werde Dir nun das Leben froher machen." -- "Es war froh genug. Ich sollte sterben; dar¬ "um mußt' ich lieben" sagte sie. -- So gieng sie lächelnd in die Arme des Schlafes mit hart¬ klopfendem Herzen. Aber im Traume kam es ihr vor, sie sinke ohnmächtig dahin, verliere die Mutter und ringe sich aus dem fliegenden To¬ de bange wieder auf und weine dann froh, daß sie wieder lebe. Darüber erwachte sie, und die frohen durch den Traum sanft abgelöseten Tropfen flossen aus den offnen Augen fort und erweichten wie Thauwind das starre Leben. --
Ihr großen oder seeligen Geister über uns! Wenn der Mensch hier unter den armen Wol¬ ken des Lebens sein Glück wegwirft, weil er es kleiner achtet als sein Herz: dann ist er so see¬ lig und so groß wie Ihr. Und wir sind Alle einer heiligern Erde werth, weil uns der An¬ blick des Opfers erhebt, und nicht niederdrückt und weil wir glühende Thränen vergießen, nicht aus Mitleiden, sondern aus der innersten, heiligsten Liebe und Freude. --
wich. „Habe Dank, Tochter, (ſagte die Mutter,) ich werde Dir nun das Leben froher machen.“ — „Es war froh genug. Ich ſollte ſterben; dar¬ „um mußt' ich lieben“ ſagte ſie. — So gieng ſie lächelnd in die Arme des Schlafes mit hart¬ klopfendem Herzen. Aber im Traume kam es ihr vor, ſie ſinke ohnmächtig dahin, verliere die Mutter und ringe ſich aus dem fliegenden To¬ de bange wieder auf und weine dann froh, daß ſie wieder lebe. Darüber erwachte ſie, und die frohen durch den Traum ſanft abgelöſeten Tropfen floſſen aus den offnen Augen fort und erweichten wie Thauwind das ſtarre Leben. —
Ihr großen oder ſeeligen Geiſter über uns! Wenn der Menſch hier unter den armen Wol¬ ken des Lebens ſein Glück wegwirft, weil er es kleiner achtet als ſein Herz: dann iſt er ſo ſee¬ lig und ſo groß wie Ihr. Und wir ſind Alle einer heiligern Erde werth, weil uns der An¬ blick des Opfers erhebt, und nicht niederdrückt und weil wir glühende Thränen vergießen, nicht aus Mitleiden, ſondern aus der innerſten, heiligſten Liebe und Freude. —
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wich. „Habe Dank, Tochter, (ſagte die Mutter,)
ich werde Dir nun das Leben froher machen.“
— „Es war froh genug. Ich ſollte ſterben; dar¬
„um mußt' ich lieben“ ſagte ſie. — So gieng
ſie lächelnd in die Arme des Schlafes mit hart¬
klopfendem Herzen. Aber im Traume kam es
ihr vor, ſie ſinke ohnmächtig dahin, verliere die
Mutter und ringe ſich aus dem fliegenden To¬
de bange wieder auf und weine dann froh, daß
ſie wieder lebe. Darüber erwachte ſie, und die
frohen durch den Traum ſanft abgelöſeten
Tropfen floſſen aus den offnen Augen fort
und erweichten wie Thauwind das ſtarre
Leben. —
Ihr großen oder ſeeligen Geiſter über uns!
Wenn der Menſch hier unter den armen Wol¬
ken des Lebens ſein Glück wegwirft, weil er es
kleiner achtet als ſein Herz: dann iſt er ſo ſee¬
lig und ſo groß wie Ihr. Und wir ſind Alle
einer heiligern Erde werth, weil uns der An¬
blick des Opfers erhebt, und nicht niederdrückt
und weil wir glühende Thränen vergießen,
nicht aus Mitleiden, ſondern aus der innerſten,
heiligſten Liebe und Freude. —
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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/215>, abgerufen am 23.11.2024.
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