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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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Arme; er gieng an die weibliche Gestalt: "ich
bin leider Gottes blind, sagte sie; ich war auch
mit bei der Illuminazion und bin irre gelau¬
fen -- ich kenne sonst Weg und Steg, drüben
liegt unser Dorf, ich höre den Hirtenhund --
aber ich kann den Steg übers Wasser nicht
finden." Es war die erwachsene Blinde von
der Sennenhütte. "Gehts noch lustig da zu?"
fragt' er unter dem Führen. "Alles aus" sag¬
te sie. Am Rosana-Stege ließ sie sich aus Ei¬
telkeit nicht weiter zurechtweisen.

Er kehrte durch die schönen schon vom Mor¬
gen thauenden Gebüsche auf eine Höhe vor Lilar
-- Alles war still drunten -- wenige zerstreuete
Lampen flackerten im Flötenthal, und noch am
Tartarus das Paar wie Todes-Tygeraugen --
er gieng in das leere Land hinunter über das
stumme, platte Grab hinweg -- seinen finstern,
sinkend-steigenden Höhlengang hinauf -- und
in sein Bette hinein. "Morgen!" sagt' er kräf¬
tig und meinte seine Standhaftigkeit. --


Arme; er gieng an die weibliche Geſtalt: „ich
bin leider Gottes blind, ſagte ſie; ich war auch
mit bei der Illuminazion und bin irre gelau¬
fen — ich kenne ſonſt Weg und Steg, drüben
liegt unſer Dorf, ich höre den Hirtenhund —
aber ich kann den Steg übers Waſſer nicht
finden.“ Es war die erwachſene Blinde von
der Sennenhütte. „Gehts noch luſtig da zu?“
fragt' er unter dem Führen. „Alles aus“ ſag¬
te ſie. Am Roſana-Stege ließ ſie ſich aus Ei¬
telkeit nicht weiter zurechtweiſen.

Er kehrte durch die ſchönen ſchon vom Mor¬
gen thauenden Gebüſche auf eine Höhe vor Lilar
— Alles war ſtill drunten — wenige zerſtreuete
Lampen flackerten im Flötenthal, und noch am
Tartarus das Paar wie Todes-Tygeraugen —
er gieng in das leere Land hinunter über das
ſtumme, platte Grab hinweg — ſeinen finſtern,
ſinkend-ſteigenden Höhlengang hinauf — und
in ſein Bette hinein. „Morgen!“ ſagt' er kräf¬
tig und meinte ſeine Standhaftigkeit. —


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[183/0195] Arme; er gieng an die weibliche Geſtalt: „ich bin leider Gottes blind, ſagte ſie; ich war auch mit bei der Illuminazion und bin irre gelau¬ fen — ich kenne ſonſt Weg und Steg, drüben liegt unſer Dorf, ich höre den Hirtenhund — aber ich kann den Steg übers Waſſer nicht finden.“ Es war die erwachſene Blinde von der Sennenhütte. „Gehts noch luſtig da zu?“ fragt' er unter dem Führen. „Alles aus“ ſag¬ te ſie. Am Roſana-Stege ließ ſie ſich aus Ei¬ telkeit nicht weiter zurechtweiſen. Er kehrte durch die ſchönen ſchon vom Mor¬ gen thauenden Gebüſche auf eine Höhe vor Lilar — Alles war ſtill drunten — wenige zerſtreuete Lampen flackerten im Flötenthal, und noch am Tartarus das Paar wie Todes-Tygeraugen — er gieng in das leere Land hinunter über das ſtumme, platte Grab hinweg — ſeinen finſtern, ſinkend-ſteigenden Höhlengang hinauf — und in ſein Bette hinein. „Morgen!“ ſagt' er kräf¬ tig und meinte ſeine Standhaftigkeit. —

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/195>, abgerufen am 24.11.2024.