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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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hauchet kalte Gifte in das Leben! -- Daher
war es sonst besser, da die Menschen noch de¬
müthig waren und zu Gott beteten in der gros¬
sen Entzückung; denn neben dem Unendlichen
senkt sich das feurige Auge und weinet, aber
nur aus Dankbarkeit.

Kein kleinliches Kalendermaas werde an
die schöne Ewigkeit gelegt, die er nun lebte,
da er die Geliebte jeden Abend, jeden Morgen
in ihrem Dörfchen sah. Als Abendstern gieng
sie vor seinen Träumen, als Morgenstern vor
seinem Tage her. Den Zwischenraum füllten
beide mit Briefen aus, die sie einander selber
brachten. Wenn sie Abends schieden, nicht weit
vom Wiedersehen, und dann in Norden unten
am Himmel schon die Rosenknospen-Zweige
hinliefen, die unter dem Menschenschlafe schnell
nach Osten hinwuchsen, um mit tausend aufge¬
blühten Rosen vom Himmel herabzuhängen,
eh' die Sonne wieder kam und die Liebe --
und wenn sein Freund Karl Nachts bei ihm
blieb und er nach einer Stunde fragte, woher
das Licht komme, ob vom Morgen oder vom
Mond -- und wenn er aufbrach, da noch

hauchet kalte Gifte in das Leben! — Daher
war es ſonſt beſſer, da die Menſchen noch de¬
müthig waren und zu Gott beteten in der gros¬
ſen Entzückung; denn neben dem Unendlichen
ſenkt ſich das feurige Auge und weinet, aber
nur aus Dankbarkeit.

Kein kleinliches Kalendermaas werde an
die ſchöne Ewigkeit gelegt, die er nun lebte,
da er die Geliebte jeden Abend, jeden Morgen
in ihrem Dörfchen ſah. Als Abendſtern gieng
ſie vor ſeinen Träumen, als Morgenſtern vor
ſeinem Tage her. Den Zwiſchenraum füllten
beide mit Briefen aus, die ſie einander ſelber
brachten. Wenn ſie Abends ſchieden, nicht weit
vom Wiederſehen, und dann in Norden unten
am Himmel ſchon die Roſenknoſpen-Zweige
hinliefen, die unter dem Menſchenſchlafe ſchnell
nach Oſten hinwuchſen, um mit tauſend aufge¬
blühten Roſen vom Himmel herabzuhängen,
eh' die Sonne wieder kam und die Liebe —
und wenn ſein Freund Karl Nachts bei ihm
blieb und er nach einer Stunde fragte, woher
das Licht komme, ob vom Morgen oder vom
Mond — und wenn er aufbrach, da noch

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[4/0016] hauchet kalte Gifte in das Leben! — Daher war es ſonſt beſſer, da die Menſchen noch de¬ müthig waren und zu Gott beteten in der gros¬ ſen Entzückung; denn neben dem Unendlichen ſenkt ſich das feurige Auge und weinet, aber nur aus Dankbarkeit. Kein kleinliches Kalendermaas werde an die ſchöne Ewigkeit gelegt, die er nun lebte, da er die Geliebte jeden Abend, jeden Morgen in ihrem Dörfchen ſah. Als Abendſtern gieng ſie vor ſeinen Träumen, als Morgenſtern vor ſeinem Tage her. Den Zwiſchenraum füllten beide mit Briefen aus, die ſie einander ſelber brachten. Wenn ſie Abends ſchieden, nicht weit vom Wiederſehen, und dann in Norden unten am Himmel ſchon die Roſenknoſpen-Zweige hinliefen, die unter dem Menſchenſchlafe ſchnell nach Oſten hinwuchſen, um mit tauſend aufge¬ blühten Roſen vom Himmel herabzuhängen, eh' die Sonne wieder kam und die Liebe — und wenn ſein Freund Karl Nachts bei ihm blieb und er nach einer Stunde fragte, woher das Licht komme, ob vom Morgen oder vom Mond — und wenn er aufbrach, da noch

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/16>, abgerufen am 11.12.2024.