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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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worin sich, wie in einem venezianischen Löwen¬
kopfe alle Geheimnisse und Anklagen der gan¬
zen Dienerschaft und Familie sammleten) --
jetzt brauch' ers ein wenig, zumal seit den neue¬
sten "Avanturen der frommen Tochter da!" --
Die Siamer Ärzte fangen die Heilung eines
Patienten damit an, daß sie ihn mit Füßen
treten, welches sie Erweichen nennen. Auf ähn¬
liche Art erweichte Froulay gern zur moralischen
Vor-Kur; und begann daher sich mit den ge¬
dachten Sprachmaschinen im Gürtel, deutlich
zu erklären über umschlagende Kinder -- über
deren Ränke und Schliche -- und über Lieb¬
schaften hinter Väterrücken -- (so daß kein
Vater einen Band Liebesgedichte vorn mit der
Prosa-Vorrede begleiten kann) -- versah vie¬
les mit den stärksten politischen Gründen, die
sich alle auf ihn selber und seinen Nutzen be¬
zogen -- und schloß mit einigem Verfluchen.

Liane hörte ihn ruhig und an solche, wie
am Gleicher täglich wiederkehrende Gewitter¬
güsse schon gewohnt, ohne andere Bewegung
an, außer daß sie oft das niederschlagende Auge
zu, ihm bedauernd aufhob aus zärtlichem Mit¬

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worin ſich, wie in einem venezianiſchen Löwen¬
kopfe alle Geheimniſſe und Anklagen der gan¬
zen Dienerſchaft und Familie ſammleten) —
jetzt brauch' ers ein wenig, zumal ſeit den neue¬
ſten „Avanturen der frommen Tochter da!“ —
Die Siamer Ärzte fangen die Heilung eines
Patienten damit an, daß ſie ihn mit Füßen
treten, welches ſie Erweichen nennen. Auf ähn¬
liche Art erweichte Froulay gern zur moraliſchen
Vor-Kur; und begann daher ſich mit den ge¬
dachten Sprachmaſchinen im Gürtel, deutlich
zu erklären über umſchlagende Kinder — über
deren Ränke und Schliche — und über Lieb¬
ſchaften hinter Väterrücken — (ſo daß kein
Vater einen Band Liebesgedichte vorn mit der
Proſa-Vorrede begleiten kann) — verſah vie¬
les mit den ſtärkſten politiſchen Gründen, die
ſich alle auf ihn ſelber und ſeinen Nutzen be¬
zogen — und ſchloß mit einigem Verfluchen.

Liane hörte ihn ruhig und an ſolche, wie
am Gleicher täglich wiederkehrende Gewitter¬
güſſe ſchon gewohnt, ohne andere Bewegung
an, außer daß ſie oft das niederſchlagende Auge
zu, ihm bedauernd aufhob aus zärtlichem Mit¬

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[115/0127] worin ſich, wie in einem venezianiſchen Löwen¬ kopfe alle Geheimniſſe und Anklagen der gan¬ zen Dienerſchaft und Familie ſammleten) — jetzt brauch' ers ein wenig, zumal ſeit den neue¬ ſten „Avanturen der frommen Tochter da!“ — Die Siamer Ärzte fangen die Heilung eines Patienten damit an, daß ſie ihn mit Füßen treten, welches ſie Erweichen nennen. Auf ähn¬ liche Art erweichte Froulay gern zur moraliſchen Vor-Kur; und begann daher ſich mit den ge¬ dachten Sprachmaſchinen im Gürtel, deutlich zu erklären über umſchlagende Kinder — über deren Ränke und Schliche — und über Lieb¬ ſchaften hinter Väterrücken — (ſo daß kein Vater einen Band Liebesgedichte vorn mit der Proſa-Vorrede begleiten kann) — verſah vie¬ les mit den ſtärkſten politiſchen Gründen, die ſich alle auf ihn ſelber und ſeinen Nutzen be¬ zogen — und ſchloß mit einigem Verfluchen. Liane hörte ihn ruhig und an ſolche, wie am Gleicher täglich wiederkehrende Gewitter¬ güſſe ſchon gewohnt, ohne andere Bewegung an, außer daß ſie oft das niederſchlagende Auge zu, ihm bedauernd aufhob aus zärtlichem Mit¬ H 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/127>, abgerufen am 26.11.2024.