Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

minder vollkommnen fallen blos Liebhabern an¬
heim. Aber wie niedrig ist ein Mann, der ver¬
lassen vom eignen Werth, blos vom fremden
Machtgebot beschützt, sein Glück bezahlend mit
einem gestohlnen, nun die unbeschirmte Seele
von einer geliebten nachweinenden in ein lan¬
ges kaltes Leben wegschleppen und sie in seine
Arme wie in frostige Schwerter drücken und sie
darin so nahe an seinem Auge blutend erblei¬
chen und zucken sehen kann! -- Der Mann
von Ehre giebt schon erröthend, aber er nimmt
nicht erröthend; und der bessere Löwe, der thie¬
rische, schonet das Weib *); aber diese Seelen¬
einkäufer erpressen vom bezwungnen Wesen
noch zuletzt das Zeugniß der Freiwilligkeit.

Mutter des armen Herzens, das du durch
Unglück beglücken willst, höre du mich! Ge¬
setzt deine Tochter härte sich ab gegen das auf¬
gedrungene Elend: hast du ihr nicht den reichen
Traum des Lebens zum leeren Schlafe gemacht
und ihr daraus die glückseeligen Inseln der
Liebe genommen und alles was auf ihnen

*) Plin. H. N. VIII. 16.

minder vollkommnen fallen blos Liebhabern an¬
heim. Aber wie niedrig iſt ein Mann, der ver¬
laſſen vom eignen Werth, blos vom fremden
Machtgebot beſchützt, ſein Glück bezahlend mit
einem geſtohlnen, nun die unbeſchirmte Seele
von einer geliebten nachweinenden in ein lan¬
ges kaltes Leben wegſchleppen und ſie in ſeine
Arme wie in froſtige Schwerter drücken und ſie
darin ſo nahe an ſeinem Auge blutend erblei¬
chen und zucken ſehen kann! — Der Mann
von Ehre giebt ſchon erröthend, aber er nimmt
nicht erröthend; und der beſſere Löwe, der thie¬
riſche, ſchonet das Weib *); aber dieſe Seelen¬
einkäufer erpreſſen vom bezwungnen Weſen
noch zuletzt das Zeugniß der Freiwilligkeit.

Mutter des armen Herzens, das du durch
Unglück beglücken willſt, höre du mich! Ge¬
ſetzt deine Tochter härte ſich ab gegen das auf¬
gedrungene Elend: haſt du ihr nicht den reichen
Traum des Lebens zum leeren Schlafe gemacht
und ihr daraus die glückſeeligen Inſeln der
Liebe genommen und alles was auf ihnen

*) Plin. H. N. VIII. 16.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0099" n="91"/>
minder vollkommnen fallen blos Liebhabern an¬<lb/>
heim. Aber wie niedrig i&#x017F;t ein Mann, der ver¬<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en vom eignen Werth, blos vom fremden<lb/>
Machtgebot be&#x017F;chützt, &#x017F;ein Glück bezahlend mit<lb/>
einem ge&#x017F;tohlnen, nun die unbe&#x017F;chirmte Seele<lb/>
von einer geliebten nachweinenden in ein lan¬<lb/>
ges kaltes Leben weg&#x017F;chleppen und &#x017F;ie in &#x017F;eine<lb/>
Arme wie in fro&#x017F;tige Schwerter drücken und &#x017F;ie<lb/>
darin &#x017F;o nahe an &#x017F;einem Auge blutend erblei¬<lb/>
chen und zucken &#x017F;ehen kann! &#x2014; Der Mann<lb/>
von Ehre giebt &#x017F;chon erröthend, aber er nimmt<lb/>
nicht erröthend; und der be&#x017F;&#x017F;ere Löwe, der thie¬<lb/>
ri&#x017F;che, &#x017F;chonet das Weib <note place="foot" n="*)"><lb/>
Plin. H. N. <hi rendition="#aq">VIII</hi>. 16.</note>; aber die&#x017F;e Seelen¬<lb/>
einkäufer erpre&#x017F;&#x017F;en vom bezwungnen We&#x017F;en<lb/>
noch zuletzt das Zeugniß der Freiwilligkeit.</p><lb/>
          <p>Mutter des armen Herzens, das du durch<lb/>
Unglück beglücken will&#x017F;t, höre du mich! Ge¬<lb/>
&#x017F;etzt deine Tochter härte &#x017F;ich ab gegen das auf¬<lb/>
gedrungene Elend: ha&#x017F;t du ihr nicht den reichen<lb/>
Traum des Lebens zum leeren Schlafe gemacht<lb/>
und ihr daraus die glück&#x017F;eeligen In&#x017F;eln der<lb/>
Liebe genommen und alles was auf ihnen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0099] minder vollkommnen fallen blos Liebhabern an¬ heim. Aber wie niedrig iſt ein Mann, der ver¬ laſſen vom eignen Werth, blos vom fremden Machtgebot beſchützt, ſein Glück bezahlend mit einem geſtohlnen, nun die unbeſchirmte Seele von einer geliebten nachweinenden in ein lan¬ ges kaltes Leben wegſchleppen und ſie in ſeine Arme wie in froſtige Schwerter drücken und ſie darin ſo nahe an ſeinem Auge blutend erblei¬ chen und zucken ſehen kann! — Der Mann von Ehre giebt ſchon erröthend, aber er nimmt nicht erröthend; und der beſſere Löwe, der thie¬ riſche, ſchonet das Weib *); aber dieſe Seelen¬ einkäufer erpreſſen vom bezwungnen Weſen noch zuletzt das Zeugniß der Freiwilligkeit. Mutter des armen Herzens, das du durch Unglück beglücken willſt, höre du mich! Ge¬ ſetzt deine Tochter härte ſich ab gegen das auf¬ gedrungene Elend: haſt du ihr nicht den reichen Traum des Lebens zum leeren Schlafe gemacht und ihr daraus die glückſeeligen Inſeln der Liebe genommen und alles was auf ihnen *) Plin. H. N. VIII. 16.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/99
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/99>, abgerufen am 24.11.2024.