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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

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Er stieg mit seinem Freund bei Lianen
aus nach wenigen Jahren d. h. Tagen; der
Minister war noch nicht zurück. Himmel! wie
neu und blüthen-jung war ihre Gestalt und
doch wechsellos ihr Betragen! Warum kann
ich, dacht' er, nur ihre Bewegungen, nicht alle
ihre Züge auswendig, warum kann ich dieses
Antlitz nicht bis auf das kleinste Lächeln wie
eine heilige Antike rein und tief in mein Gehirn
abdrücken, damit sie in ewiger Gegenwart vor
mir schwebe? -- Darum, Lieber, schöne und
junge Gestalten sind eben dem Gedächtniß wie
dem Pinsel schwer und alte, schroffe, männliche
beiden leichter. -- Wieder mit Freuden und
Seufzern füllete er sich durch ihr Schauen --
und sie wurden größer durch den nahen Gar¬
ten, worein sich der Junius mit seiner Abend¬
pracht lagerte -- o wenn ihm nur Eine Minute
käme, wo seine ganze Seele begeistert reden
dürfte! Draussen lag der junge feurige Früh¬
ling wie ein Antinous im Garten und sonnete
sich und der Mond stand, ungeduldig auf die
schöne Juniusnacht, schon unter dem Morgen¬
thor und traf noch den lebendigen Tag und die

Er ſtieg mit ſeinem Freund bei Lianen
aus nach wenigen Jahren d. h. Tagen; der
Miniſter war noch nicht zurück. Himmel! wie
neu und blüthen-jung war ihre Geſtalt und
doch wechſellos ihr Betragen! Warum kann
ich, dacht' er, nur ihre Bewegungen, nicht alle
ihre Züge auswendig, warum kann ich dieſes
Antlitz nicht bis auf das kleinſte Lächeln wie
eine heilige Antike rein und tief in mein Gehirn
abdrücken, damit ſie in ewiger Gegenwart vor
mir ſchwebe? — Darum, Lieber, ſchöne und
junge Geſtalten ſind eben dem Gedächtniß wie
dem Pinſel ſchwer und alte, ſchroffe, männliche
beiden leichter. — Wieder mit Freuden und
Seufzern füllete er ſich durch ihr Schauen —
und ſie wurden größer durch den nahen Gar¬
ten, worein ſich der Junius mit ſeiner Abend¬
pracht lagerte — o wenn ihm nur Eine Minute
käme, wo ſeine ganze Seele begeiſtert reden
dürfte! Drauſſen lag der junge feurige Früh¬
ling wie ein Antinous im Garten und ſonnete
ſich und der Mond ſtand, ungeduldig auf die
ſchöne Juniusnacht, ſchon unter dem Morgen¬
thor und traf noch den lebendigen Tag und die

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[52/0060] Er ſtieg mit ſeinem Freund bei Lianen aus nach wenigen Jahren d. h. Tagen; der Miniſter war noch nicht zurück. Himmel! wie neu und blüthen-jung war ihre Geſtalt und doch wechſellos ihr Betragen! Warum kann ich, dacht' er, nur ihre Bewegungen, nicht alle ihre Züge auswendig, warum kann ich dieſes Antlitz nicht bis auf das kleinſte Lächeln wie eine heilige Antike rein und tief in mein Gehirn abdrücken, damit ſie in ewiger Gegenwart vor mir ſchwebe? — Darum, Lieber, ſchöne und junge Geſtalten ſind eben dem Gedächtniß wie dem Pinſel ſchwer und alte, ſchroffe, männliche beiden leichter. — Wieder mit Freuden und Seufzern füllete er ſich durch ihr Schauen — und ſie wurden größer durch den nahen Gar¬ ten, worein ſich der Junius mit ſeiner Abend¬ pracht lagerte — o wenn ihm nur Eine Minute käme, wo ſeine ganze Seele begeiſtert reden dürfte! Drauſſen lag der junge feurige Früh¬ ling wie ein Antinous im Garten und ſonnete ſich und der Mond ſtand, ungeduldig auf die ſchöne Juniusnacht, ſchon unter dem Morgen¬ thor und traf noch den lebendigen Tag und die

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/60>, abgerufen am 24.11.2024.