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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

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der Freundinn mancherlei beizubringen, was
sich schwer festsetzen wollte, besonders die My¬
thologie, welche ihr durch die französische Aus¬
sprache der Götter noch unbrauchbarer wurde.
Sogar mit Büchern suchte Liane sie zusammen¬
zubringen; so daß Lektüre ihr eine Art von
Wochen-Gottesdienst dem sie mit wah¬
rer Andacht beiwohnte und dessen Ende sie stets
ergötzte. Durch alle diese Schöpfräder der Er¬
kenntniß strömte Roquairol's Liebe hindurch
und half treiben und schöpfen. -- Wie viele
Erröthungen flogen jetzt ohne allen Anlaß über
ihr ganzes Gesicht! Das Lachen, womit sie
sonst heiter war, kam jetzt zu oft und bedeute¬
te nur ein unbeholfnes Herz, das seufzen will.

So stand ihr Verhältniß, als Karl einst
scherzend hinter sie schlich und ihr die Augen
mit einer Hand verdeckte um ihr unter der
Maske der brüderlichen Stimme sanfte schwe¬
sterliche Namen zu geben. Sie verwechselte die
ähnliche Stimme, sie drückte inbrünstig die
Hand, aber ihr Auge war heiß und naß. Da
fand sie den Irrthum und floh mit der bedeck¬
ten Abend- und Morgenröthe ihres Angesichts

der Freundinn mancherlei beizubringen, was
ſich ſchwer feſtſetzen wollte, beſonders die My¬
thologie, welche ihr durch die franzöſiſche Aus¬
ſprache der Götter noch unbrauchbarer wurde.
Sogar mit Büchern ſuchte Liane ſie zuſammen¬
zubringen; ſo daß Lektüre ihr eine Art von
Wochen-Gottesdienſt dem ſie mit wah¬
rer Andacht beiwohnte und deſſen Ende ſie ſtets
ergötzte. Durch alle dieſe Schöpfräder der Er¬
kenntniß ſtrömte Roquairol's Liebe hindurch
und half treiben und ſchöpfen. — Wie viele
Erröthungen flogen jetzt ohne allen Anlaß über
ihr ganzes Geſicht! Das Lachen, womit ſie
ſonſt heiter war, kam jetzt zu oft und bedeute¬
te nur ein unbeholfnes Herz, das ſeufzen will.

So ſtand ihr Verhältniß, als Karl einſt
ſcherzend hinter ſie ſchlich und ihr die Augen
mit einer Hand verdeckte um ihr unter der
Maſke der brüderlichen Stimme ſanfte ſchwe¬
ſterliche Namen zu geben. Sie verwechſelte die
ähnliche Stimme, ſie drückte inbrünſtig die
Hand, aber ihr Auge war heiß und naß. Da
fand ſie den Irrthum und floh mit der bedeck¬
ten Abend- und Morgenröthe ihres Angeſichts

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[124/0132] der Freundinn mancherlei beizubringen, was ſich ſchwer feſtſetzen wollte, beſonders die My¬ thologie, welche ihr durch die franzöſiſche Aus¬ ſprache der Götter noch unbrauchbarer wurde. Sogar mit Büchern ſuchte Liane ſie zuſammen¬ zubringen; ſo daß Lektüre ihr eine Art von Wochen-Gottesdienſt dem ſie mit wah¬ rer Andacht beiwohnte und deſſen Ende ſie ſtets ergötzte. Durch alle dieſe Schöpfräder der Er¬ kenntniß ſtrömte Roquairol's Liebe hindurch und half treiben und ſchöpfen. — Wie viele Erröthungen flogen jetzt ohne allen Anlaß über ihr ganzes Geſicht! Das Lachen, womit ſie ſonſt heiter war, kam jetzt zu oft und bedeute¬ te nur ein unbeholfnes Herz, das ſeufzen will. So ſtand ihr Verhältniß, als Karl einſt ſcherzend hinter ſie ſchlich und ihr die Augen mit einer Hand verdeckte um ihr unter der Maſke der brüderlichen Stimme ſanfte ſchwe¬ ſterliche Namen zu geben. Sie verwechſelte die ähnliche Stimme, ſie drückte inbrünſtig die Hand, aber ihr Auge war heiß und naß. Da fand ſie den Irrthum und floh mit der bedeck¬ ten Abend- und Morgenröthe ihres Angeſichts

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/132>, abgerufen am 24.11.2024.