Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.Mensch, dem die Zeit statt der Vergangenheit Euer Schluß wäre demnach dieser: Da Menſch, dem die Zeit ſtatt der Vergangenheit Euer Schluß wäre demnach dieſer: Da <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0462" n="442"/> Menſch, dem die Zeit ſtatt der Vergangenheit<lb/> erſt eine Zukunft gab, wirſt du mir nicht ein¬<lb/> mal ſagen, ich hätte dir manche ſeelige Ge¬<lb/> ſtalten wie heilige Leiber verbergen ſollen aus<lb/> Furcht, du würdeſt ſie anbeten und wirſt du<lb/> nicht dazuſetzen, du hätteſt ohne dieſe Phönix-<lb/> Bildniſſe leichtere Wünſche genährt und man¬<lb/> che erreicht? — Und wie wehe hab' ich dann<lb/> euch allen gethan! — Aber mir auch; denn<lb/> wie konnt' es mir beſſer ergehen als euch<lb/> allen? —</p><lb/> <p>Euer Schluß wäre demnach dieſer: Da<lb/> ihr ſchöne Tage nie ſo ſchön erleben könnt, als<lb/> ſie nachher in der <hi rendition="#g">Erinnerung</hi> glänzen oder<lb/> vorher in der <hi rendition="#g">Hoffnung</hi>: ſo verlangtet ihr<lb/> lieber den Tag ohne beide; und da man nur<lb/> an den beiden Polen des ellyptiſchen Gewöl¬<lb/> bes der Zeit die leiſen Sphärenlaute der Mu¬<lb/> ſik vernimmt, und in der Mitte der Gegen¬<lb/> wart nichts: ſo wollt ihr lieber in der Mitte<lb/> verharren und aufhorchen, Vergangenheit und<lb/> Zukunft aber — die beide kein Menſch erleben<lb/> kann, weil ſie nur zwei verſchiedene Dichtungs¬<lb/> arten unſers Herzens ſind, eine Ilias und<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [442/0462]
Menſch, dem die Zeit ſtatt der Vergangenheit
erſt eine Zukunft gab, wirſt du mir nicht ein¬
mal ſagen, ich hätte dir manche ſeelige Ge¬
ſtalten wie heilige Leiber verbergen ſollen aus
Furcht, du würdeſt ſie anbeten und wirſt du
nicht dazuſetzen, du hätteſt ohne dieſe Phönix-
Bildniſſe leichtere Wünſche genährt und man¬
che erreicht? — Und wie wehe hab' ich dann
euch allen gethan! — Aber mir auch; denn
wie konnt' es mir beſſer ergehen als euch
allen? —
Euer Schluß wäre demnach dieſer: Da
ihr ſchöne Tage nie ſo ſchön erleben könnt, als
ſie nachher in der Erinnerung glänzen oder
vorher in der Hoffnung: ſo verlangtet ihr
lieber den Tag ohne beide; und da man nur
an den beiden Polen des ellyptiſchen Gewöl¬
bes der Zeit die leiſen Sphärenlaute der Mu¬
ſik vernimmt, und in der Mitte der Gegen¬
wart nichts: ſo wollt ihr lieber in der Mitte
verharren und aufhorchen, Vergangenheit und
Zukunft aber — die beide kein Menſch erleben
kann, weil ſie nur zwei verſchiedene Dichtungs¬
arten unſers Herzens ſind, eine Ilias und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/462 |
Zitationshilfe: | Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/462>, abgerufen am 16.07.2024. |