Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

Die nun mit allen heiligen Kräften aufge¬
wachte Seele Albano's fühlte sich ihr ganz gleich
und ohne Verlegenheit, und er sagte: "schon
"in meiner Kindheit hab' ich Ihren Karl wie
"einen Bruder geliebt; ich habe noch keinen
"Freund." Die bewegten Seelen merkten
nicht, daß der Name Karl aus dem Briefe sey.

Auf einmal flogen einzelne Flötentöne oben
auf den Bergen und aus den Lauben auf --
immer mehrere flogen dazu -- sie flatterten
schön-verworren durcheinander -- endlich stie¬
gen mächtig auf allen Seiten Flötenchöre wie
Engel auf und zogen gen Himmel -- sie riefen
es aus, wie süß der Frühling ist und wie die
Freude weint und wie unser Herz sich sehnt und
schwanden oben im blauen Frühlinge -- und
die Nachtigallen flogen aus den kühlen Blu¬
men auf die hellen Gipfel und schrien freudig
in die Triumphlieder des Maies -- und das
Morgenwehen wiegte die hohen schimmernden
Regenbogen hin und her und warf sie weit in
die Blumen hinein. -- --

Lianen entsank die Arbeit in den Schooß
und sie schlug nach einer ihr eignen Weise, in¬

Die nun mit allen heiligen Kräften aufge¬
wachte Seele Albano's fühlte ſich ihr ganz gleich
und ohne Verlegenheit, und er ſagte: „ſchon
„in meiner Kindheit hab' ich Ihren Karl wie
„einen Bruder geliebt; ich habe noch keinen
„Freund.“ Die bewegten Seelen merkten
nicht, daß der Name Karl aus dem Briefe ſey.

Auf einmal flogen einzelne Flötentöne oben
auf den Bergen und aus den Lauben auf —
immer mehrere flogen dazu — ſie flatterten
ſchön-verworren durcheinander — endlich ſtie¬
gen mächtig auf allen Seiten Flötenchöre wie
Engel auf und zogen gen Himmel — ſie riefen
es aus, wie ſüß der Frühling iſt und wie die
Freude weint und wie unſer Herz ſich ſehnt und
ſchwanden oben im blauen Frühlinge — und
die Nachtigallen flogen aus den kühlen Blu¬
men auf die hellen Gipfel und ſchrien freudig
in die Triumphlieder des Maies — und das
Morgenwehen wiegte die hohen ſchimmernden
Regenbogen hin und her und warf ſie weit in
die Blumen hinein. — —

Lianen entſank die Arbeit in den Schooß
und ſie ſchlug nach einer ihr eignen Weiſe, in¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0456" n="436"/>
Die nun mit allen heiligen Kräften aufge¬<lb/>
wachte Seele Albano's fühlte &#x017F;ich ihr ganz gleich<lb/>
und ohne Verlegenheit, und er &#x017F;agte: &#x201E;&#x017F;chon<lb/>
&#x201E;in meiner Kindheit hab' ich Ihren <hi rendition="#g">Karl</hi> wie<lb/>
&#x201E;einen Bruder geliebt; ich habe noch keinen<lb/>
&#x201E;Freund.&#x201C; Die bewegten Seelen merkten<lb/>
nicht, daß der Name Karl aus dem Briefe &#x017F;ey.</p><lb/>
          <p>Auf einmal flogen einzelne Flötentöne oben<lb/>
auf den Bergen und aus den Lauben auf &#x2014;<lb/>
immer mehrere flogen dazu &#x2014; &#x017F;ie flatterten<lb/>
&#x017F;chön-verworren durcheinander &#x2014; endlich &#x017F;tie¬<lb/>
gen mächtig auf allen Seiten Flötenchöre wie<lb/>
Engel auf und zogen gen Himmel &#x2014; &#x017F;ie riefen<lb/>
es aus, wie &#x017F;üß der Frühling i&#x017F;t und wie die<lb/>
Freude weint und wie un&#x017F;er Herz &#x017F;ich &#x017F;ehnt und<lb/>
&#x017F;chwanden oben im blauen Frühlinge &#x2014; und<lb/>
die Nachtigallen flogen aus den kühlen Blu¬<lb/>
men auf die hellen Gipfel und &#x017F;chrien freudig<lb/>
in die Triumphlieder des Maies &#x2014; und das<lb/>
Morgenwehen wiegte die hohen &#x017F;chimmernden<lb/>
Regenbogen hin und her und warf &#x017F;ie weit in<lb/>
die Blumen hinein. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
          <p>Lianen ent&#x017F;ank die Arbeit in den Schooß<lb/>
und &#x017F;ie &#x017F;chlug nach einer ihr eignen Wei&#x017F;e, in¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[436/0456] Die nun mit allen heiligen Kräften aufge¬ wachte Seele Albano's fühlte ſich ihr ganz gleich und ohne Verlegenheit, und er ſagte: „ſchon „in meiner Kindheit hab' ich Ihren Karl wie „einen Bruder geliebt; ich habe noch keinen „Freund.“ Die bewegten Seelen merkten nicht, daß der Name Karl aus dem Briefe ſey. Auf einmal flogen einzelne Flötentöne oben auf den Bergen und aus den Lauben auf — immer mehrere flogen dazu — ſie flatterten ſchön-verworren durcheinander — endlich ſtie¬ gen mächtig auf allen Seiten Flötenchöre wie Engel auf und zogen gen Himmel — ſie riefen es aus, wie ſüß der Frühling iſt und wie die Freude weint und wie unſer Herz ſich ſehnt und ſchwanden oben im blauen Frühlinge — und die Nachtigallen flogen aus den kühlen Blu¬ men auf die hellen Gipfel und ſchrien freudig in die Triumphlieder des Maies — und das Morgenwehen wiegte die hohen ſchimmernden Regenbogen hin und her und warf ſie weit in die Blumen hinein. — — Lianen entſank die Arbeit in den Schooß und ſie ſchlug nach einer ihr eignen Weiſe, in¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/456
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/456>, abgerufen am 22.11.2024.