Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

die eine schwärmerische Liebe für die Mutter
und die weibliche Achtung des stärkern Ge¬
schlechts für den Vater hatte, und die so un¬
endlich unter dem Zwiespalte litt, fiel der Mut¬
ter um den Hals und bat sie, ihr das zu er¬
lauben, was der Vater fordere -- sie wolle
alles gewiß so machen, daß man nichts merke,
sie wolle sich recht anstrengen und vorher be¬
sonders üben -- ach er werde sonst ihrem ar¬
men Bruder nur noch ungewogner -- diese
Uneinigkeit bloß ihrentwegen sey ihr so schmerz¬
lich, und vielleicht schädlicher als das Harmo¬
nika-Spiel.

"Mein Kind, du weißt, (sagte die Mutter,
"denn hatte sie gefragt) was gestern der Arzt
"gegen die Harmonika gesagt hat; das andre
"kannst du wagen!" Liane küßte sie freudig.
Man mußte sie zum Vater führen, damit sie
vor ihm die Freude ihres Gehorsams laut¬
machte. "Ich dank' euchs mit dem Henker,
"(sagt' er sanft,) es ist eure verfluchte Schuldig¬
"keit." -- Sie gieng mit zerstobener Freude,
aber ohne große Schmerzen, sie war es schon
gewohnt.

die eine ſchwärmeriſche Liebe für die Mutter
und die weibliche Achtung des ſtärkern Ge¬
ſchlechts für den Vater hatte, und die ſo un¬
endlich unter dem Zwieſpalte litt, fiel der Mut¬
ter um den Hals und bat ſie, ihr das zu er¬
lauben, was der Vater fordere — ſie wolle
alles gewiß ſo machen, daß man nichts merke,
ſie wolle ſich recht anſtrengen und vorher be¬
ſonders üben — ach er werde ſonſt ihrem ar¬
men Bruder nur noch ungewogner — dieſe
Uneinigkeit bloß ihrentwegen ſey ihr ſo ſchmerz¬
lich, und vielleicht ſchädlicher als das Harmo¬
nika-Spiel.

„Mein Kind, du weißt, (ſagte die Mutter,
„denn hatte ſie gefragt) was geſtern der Arzt
„gegen die Harmonika geſagt hat; das andre
„kannſt du wagen!“ Liane küßte ſie freudig.
Man mußte ſie zum Vater führen, damit ſie
vor ihm die Freude ihres Gehorſams laut¬
machte. „Ich dank' euchs mit dem Henker,
„(ſagt' er ſanft,) es iſt eure verfluchte Schuldig¬
„keit.“ — Sie gieng mit zerſtobener Freude,
aber ohne große Schmerzen, ſie war es ſchon
gewohnt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0394" n="374"/>
die eine &#x017F;chwärmeri&#x017F;che Liebe für die Mutter<lb/>
und die weibliche Achtung des &#x017F;tärkern Ge¬<lb/>
&#x017F;chlechts für den Vater hatte, und die &#x017F;o un¬<lb/>
endlich unter dem Zwie&#x017F;palte litt, fiel der Mut¬<lb/>
ter um den Hals und bat &#x017F;ie, ihr das zu er¬<lb/>
lauben, was der Vater fordere &#x2014; &#x017F;ie wolle<lb/>
alles gewiß &#x017F;o machen, daß man nichts merke,<lb/>
&#x017F;ie wolle &#x017F;ich recht an&#x017F;trengen und vorher be¬<lb/>
&#x017F;onders üben &#x2014; ach er werde &#x017F;on&#x017F;t ihrem ar¬<lb/>
men Bruder nur noch ungewogner &#x2014; die&#x017F;e<lb/>
Uneinigkeit bloß ihrentwegen &#x017F;ey ihr &#x017F;o &#x017F;chmerz¬<lb/>
lich, und vielleicht &#x017F;chädlicher als das Harmo¬<lb/>
nika-Spiel.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Mein Kind, du weißt, (&#x017F;agte die Mutter,<lb/>
&#x201E;denn hatte &#x017F;ie gefragt) was ge&#x017F;tern der Arzt<lb/>
&#x201E;gegen die Harmonika ge&#x017F;agt hat; das andre<lb/>
&#x201E;kann&#x017F;t du wagen!&#x201C; Liane küßte &#x017F;ie freudig.<lb/>
Man mußte &#x017F;ie zum Vater führen, damit &#x017F;ie<lb/>
vor ihm die Freude ihres Gehor&#x017F;ams laut¬<lb/>
machte. &#x201E;Ich dank' euchs mit dem Henker,<lb/>
&#x201E;(&#x017F;agt' er &#x017F;anft,) es i&#x017F;t eure verfluchte Schuldig¬<lb/>
&#x201E;keit.&#x201C; &#x2014; Sie gieng mit zer&#x017F;tobener Freude,<lb/>
aber ohne große Schmerzen, &#x017F;ie war es &#x017F;chon<lb/>
gewohnt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[374/0394] die eine ſchwärmeriſche Liebe für die Mutter und die weibliche Achtung des ſtärkern Ge¬ ſchlechts für den Vater hatte, und die ſo un¬ endlich unter dem Zwieſpalte litt, fiel der Mut¬ ter um den Hals und bat ſie, ihr das zu er¬ lauben, was der Vater fordere — ſie wolle alles gewiß ſo machen, daß man nichts merke, ſie wolle ſich recht anſtrengen und vorher be¬ ſonders üben — ach er werde ſonſt ihrem ar¬ men Bruder nur noch ungewogner — dieſe Uneinigkeit bloß ihrentwegen ſey ihr ſo ſchmerz¬ lich, und vielleicht ſchädlicher als das Harmo¬ nika-Spiel. „Mein Kind, du weißt, (ſagte die Mutter, „denn hatte ſie gefragt) was geſtern der Arzt „gegen die Harmonika geſagt hat; das andre „kannſt du wagen!“ Liane küßte ſie freudig. Man mußte ſie zum Vater führen, damit ſie vor ihm die Freude ihres Gehorſams laut¬ machte. „Ich dank' euchs mit dem Henker, „(ſagt' er ſanft,) es iſt eure verfluchte Schuldig¬ „keit.“ — Sie gieng mit zerſtobener Freude, aber ohne große Schmerzen, ſie war es ſchon gewohnt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/394
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/394>, abgerufen am 25.11.2024.