die eine schwärmerische Liebe für die Mutter und die weibliche Achtung des stärkern Ge¬ schlechts für den Vater hatte, und die so un¬ endlich unter dem Zwiespalte litt, fiel der Mut¬ ter um den Hals und bat sie, ihr das zu er¬ lauben, was der Vater fordere -- sie wolle alles gewiß so machen, daß man nichts merke, sie wolle sich recht anstrengen und vorher be¬ sonders üben -- ach er werde sonst ihrem ar¬ men Bruder nur noch ungewogner -- diese Uneinigkeit bloß ihrentwegen sey ihr so schmerz¬ lich, und vielleicht schädlicher als das Harmo¬ nika-Spiel.
"Mein Kind, du weißt, (sagte die Mutter, "denn hatte sie gefragt) was gestern der Arzt "gegen die Harmonika gesagt hat; das andre "kannst du wagen!" Liane küßte sie freudig. Man mußte sie zum Vater führen, damit sie vor ihm die Freude ihres Gehorsams laut¬ machte. "Ich dank' euchs mit dem Henker, "(sagt' er sanft,) es ist eure verfluchte Schuldig¬ "keit." -- Sie gieng mit zerstobener Freude, aber ohne große Schmerzen, sie war es schon gewohnt.
die eine ſchwärmeriſche Liebe für die Mutter und die weibliche Achtung des ſtärkern Ge¬ ſchlechts für den Vater hatte, und die ſo un¬ endlich unter dem Zwieſpalte litt, fiel der Mut¬ ter um den Hals und bat ſie, ihr das zu er¬ lauben, was der Vater fordere — ſie wolle alles gewiß ſo machen, daß man nichts merke, ſie wolle ſich recht anſtrengen und vorher be¬ ſonders üben — ach er werde ſonſt ihrem ar¬ men Bruder nur noch ungewogner — dieſe Uneinigkeit bloß ihrentwegen ſey ihr ſo ſchmerz¬ lich, und vielleicht ſchädlicher als das Harmo¬ nika-Spiel.
„Mein Kind, du weißt, (ſagte die Mutter, „denn hatte ſie gefragt) was geſtern der Arzt „gegen die Harmonika geſagt hat; das andre „kannſt du wagen!“ Liane küßte ſie freudig. Man mußte ſie zum Vater führen, damit ſie vor ihm die Freude ihres Gehorſams laut¬ machte. „Ich dank' euchs mit dem Henker, „(ſagt' er ſanft,) es iſt eure verfluchte Schuldig¬ „keit.“ — Sie gieng mit zerſtobener Freude, aber ohne große Schmerzen, ſie war es ſchon gewohnt.
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die eine ſchwärmeriſche Liebe für die Mutter
und die weibliche Achtung des ſtärkern Ge¬
ſchlechts für den Vater hatte, und die ſo un¬
endlich unter dem Zwieſpalte litt, fiel der Mut¬
ter um den Hals und bat ſie, ihr das zu er¬
lauben, was der Vater fordere — ſie wolle
alles gewiß ſo machen, daß man nichts merke,
ſie wolle ſich recht anſtrengen und vorher be¬
ſonders üben — ach er werde ſonſt ihrem ar¬
men Bruder nur noch ungewogner — dieſe
Uneinigkeit bloß ihrentwegen ſey ihr ſo ſchmerz¬
lich, und vielleicht ſchädlicher als das Harmo¬
nika-Spiel.
„Mein Kind, du weißt, (ſagte die Mutter,
„denn hatte ſie gefragt) was geſtern der Arzt
„gegen die Harmonika geſagt hat; das andre
„kannſt du wagen!“ Liane küßte ſie freudig.
Man mußte ſie zum Vater führen, damit ſie
vor ihm die Freude ihres Gehorſams laut¬
machte. „Ich dank' euchs mit dem Henker,
„(ſagt' er ſanft,) es iſt eure verfluchte Schuldig¬
„keit.“ — Sie gieng mit zerſtobener Freude,
aber ohne große Schmerzen, ſie war es ſchon
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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/394>, abgerufen am 25.11.2024.
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