Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.ternacht am luftigen Fenster und schauete voll Und diese seufzende schwüle Seele mußte ternacht am luftigen Fenſter und ſchauete voll Und dieſe ſeufzende ſchwüle Seele mußte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0382" n="362"/> ternacht am luftigen Fenſter und ſchauete voll<lb/> Thränen auf die weiße Madonna des mini¬<lb/> ſterialiſchen Pallaſtes, die der reine Mond ver¬<lb/> ſilberte. Ja am Tage zeichnete er oft in ſein<lb/> Souvenir (zufällig war's ein Springbrunnen<lb/> und eine Geſtalt dahinter, weiter nichts) —<lb/> oder er las im Meſſias (natürlich fuhr er in<lb/> dem Geſange fort, den er ſchon bei der Mini¬<lb/> ſterinn angefangen) — oder er belehrte ſich<lb/> über Nervenkrankheiten (war er bei ſeinem<lb/> Studiren dagegen gedeckt?) — oder er ließ das<lb/> Feuer ſeiner Finger über die Saiten laufen —<lb/> ja er hätte nichts als Roſen gepflückt, obwohl<lb/> mit Dornen, wäre ihre Blüthezeit geweſen.</p><lb/> <p>Und dieſe ſeufzende ſchwüle Seele mußte<lb/> ſich verſchließen! O er war ſchon in Sorge,<lb/> jede Taſte werde eine Schriftpunze, das Kla¬<lb/> vier ein Letternkaſten, und alle Handlungen<lb/> verrätheriſch-leſerliche Worte. Denn er mußte<lb/> ſchweigen. Die erſte junge Liebe hat wie die<lb/> der Geſchäftsleute (die kurſächſiſchen ausgenom¬<lb/> men) keine Sprachwerkzeuge, höchſtens eine<lb/> tragbare Schreibfeder mit Dinte. Nur die<lb/> Weltleute, die ihre Liebeserklärungen eben ſo<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [362/0382]
ternacht am luftigen Fenſter und ſchauete voll
Thränen auf die weiße Madonna des mini¬
ſterialiſchen Pallaſtes, die der reine Mond ver¬
ſilberte. Ja am Tage zeichnete er oft in ſein
Souvenir (zufällig war's ein Springbrunnen
und eine Geſtalt dahinter, weiter nichts) —
oder er las im Meſſias (natürlich fuhr er in
dem Geſange fort, den er ſchon bei der Mini¬
ſterinn angefangen) — oder er belehrte ſich
über Nervenkrankheiten (war er bei ſeinem
Studiren dagegen gedeckt?) — oder er ließ das
Feuer ſeiner Finger über die Saiten laufen —
ja er hätte nichts als Roſen gepflückt, obwohl
mit Dornen, wäre ihre Blüthezeit geweſen.
Und dieſe ſeufzende ſchwüle Seele mußte
ſich verſchließen! O er war ſchon in Sorge,
jede Taſte werde eine Schriftpunze, das Kla¬
vier ein Letternkaſten, und alle Handlungen
verrätheriſch-leſerliche Worte. Denn er mußte
ſchweigen. Die erſte junge Liebe hat wie die
der Geſchäftsleute (die kurſächſiſchen ausgenom¬
men) keine Sprachwerkzeuge, höchſtens eine
tragbare Schreibfeder mit Dinte. Nur die
Weltleute, die ihre Liebeserklärungen eben ſo
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Zitationshilfe: | Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/382>, abgerufen am 16.07.2024. |