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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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Dieser Heros, in der ländlichen Karthause
und mehr unter der Vorwelt als Mitwelt auf¬
gewachsen, legte an alles antediluvianische Rie¬
senellen; die Unsichtbarkeit des Ritters machte
einen Theil von dessen Größe aus, und die
Mosisdecke verdoppelte den Glanz, indem
sie ihn verhieng. -- Überhaupt zog unsern
Jüngling ein sonderbarer Hang zu übermäßi¬
gen Menschen hin, wovor sich andere entsetzen.
Er las die Lobreden auf jeden großen Men¬
schen mit Wollust, als wären sie auf ihn; und
wenn das Volk ungewöhnliche Geister eben
darum für schlimme hält -- wie es alle seltene
Petrefakta für Teufelsglieder nimmt -- so
wohnte umgekehrt in ihm immer neben der
Bewunderung die Liebe an und seine
Brust wurde immer zugleich weit und warm.
Freilich hält jeder Jüngling und jeder große
Mensch, der einen andern für groß ansieht,
ihn eben darum für zu groß. -- Aber in je¬
dem edeln Herzen brennt ein ewiger Durst
nach einem edlern, im schönen nach einem schö¬
nern; es will sein Ideal außer sich in körper¬
licher Gegenwart, mit verklärtem oder ange¬

Dieſer Heros, in der ländlichen Karthauſe
und mehr unter der Vorwelt als Mitwelt auf¬
gewachſen, legte an alles antediluvianiſche Rie¬
ſenellen; die Unſichtbarkeit des Ritters machte
einen Theil von deſſen Größe aus, und die
Moſisdecke verdoppelte den Glanz, indem
ſie ihn verhieng. — Überhaupt zog unſern
Jüngling ein ſonderbarer Hang zu übermäßi¬
gen Menſchen hin, wovor ſich andere entſetzen.
Er las die Lobreden auf jeden großen Men¬
ſchen mit Wolluſt, als wären ſie auf ihn; und
wenn das Volk ungewöhnliche Geiſter eben
darum für ſchlimme hält — wie es alle ſeltene
Petrefakta für Teufelsglieder nimmt — ſo
wohnte umgekehrt in ihm immer neben der
Bewunderung die Liebe an und ſeine
Bruſt wurde immer zugleich weit und warm.
Freilich hält jeder Jüngling und jeder große
Menſch, der einen andern für groß anſieht,
ihn eben darum für zu groß. — Aber in je¬
dem edeln Herzen brennt ein ewiger Durſt
nach einem edlern, im ſchönen nach einem ſchö¬
nern; es will ſein Ideal außer ſich in körper¬
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[10/0030] Dieſer Heros, in der ländlichen Karthauſe und mehr unter der Vorwelt als Mitwelt auf¬ gewachſen, legte an alles antediluvianiſche Rie¬ ſenellen; die Unſichtbarkeit des Ritters machte einen Theil von deſſen Größe aus, und die Moſisdecke verdoppelte den Glanz, indem ſie ihn verhieng. — Überhaupt zog unſern Jüngling ein ſonderbarer Hang zu übermäßi¬ gen Menſchen hin, wovor ſich andere entſetzen. Er las die Lobreden auf jeden großen Men¬ ſchen mit Wolluſt, als wären ſie auf ihn; und wenn das Volk ungewöhnliche Geiſter eben darum für ſchlimme hält — wie es alle ſeltene Petrefakta für Teufelsglieder nimmt — ſo wohnte umgekehrt in ihm immer neben der Bewunderung die Liebe an und ſeine Bruſt wurde immer zugleich weit und warm. Freilich hält jeder Jüngling und jeder große Menſch, der einen andern für groß anſieht, ihn eben darum für zu groß. — Aber in je¬ dem edeln Herzen brennt ein ewiger Durſt nach einem edlern, im ſchönen nach einem ſchö¬ nern; es will ſein Ideal außer ſich in körper¬ licher Gegenwart, mit verklärtem oder ange¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/30>, abgerufen am 21.11.2024.