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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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baums scheinbare Früchte sprießen, die nur
die fleischigen Hüllen der Blüthen sind! --

Und nun, indeß alle Nerven und Wurzeln
seiner Seele nackt an der harten Luft bloßla¬
gen, -- und bei so schönen frischen Trieben,
wurd' er jetzt so oft beschämend zertreten. In
seiner Seele glühte die Ehre -- durch die künf¬
tigen Jahre wollte sie wie durch eine weiße
Kolonade von Ehrensäulen gehen -- schon ein
bloßer Alumnus aus der Stadt war seiner
ruhm- und wissens-durstigen Seele ein klassi¬
scher Autor -- und sollt' ers erdulden, daß
ihn bei dem Ritter der Direktor verklagte und
der Wiener verzeichnete? -- Harte Thränen
wurden wie Funken aus der stolzen verletzten
Seele geschlagen und den Kometenkern seiner
innern Welt zertrieb die Gluth in einen schwü¬
len Nebel. Kurz er beschloß, in der Nacht
nach Pestiz zu rennen -- vor seinen Vater zu
stürzen, ihm alles zu melden -- und dann wie¬
der nach Hause zu gehen, ohne ein Wort da¬
von zu sagen. Am Ende des Dorfs fand er
einen eiligen Nachtboten, den er nach dem Pe¬

Titan. I. M

baums ſcheinbare Früchte ſprießen, die nur
die fleiſchigen Hüllen der Blüthen ſind! —

Und nun, indeß alle Nerven und Wurzeln
ſeiner Seele nackt an der harten Luft bloßla¬
gen, — und bei ſo ſchönen friſchen Trieben,
wurd' er jetzt ſo oft beſchämend zertreten. In
ſeiner Seele glühte die Ehre — durch die künf¬
tigen Jahre wollte ſie wie durch eine weiße
Kolonade von Ehrenſäulen gehen — ſchon ein
bloßer Alumnus aus der Stadt war ſeiner
ruhm- und wiſſens-durſtigen Seele ein klaſſi¬
ſcher Autor — und ſollt' ers erdulden, daß
ihn bei dem Ritter der Direktor verklagte und
der Wiener verzeichnete? — Harte Thränen
wurden wie Funken aus der ſtolzen verletzten
Seele geſchlagen und den Kometenkern ſeiner
innern Welt zertrieb die Gluth in einen ſchwü¬
len Nebel. Kurz er beſchloß, in der Nacht
nach Peſtiz zu rennen — vor ſeinen Vater zu
ſtürzen, ihm alles zu melden — und dann wie¬
der nach Hauſe zu gehen, ohne ein Wort da¬
von zu ſagen. Am Ende des Dorfs fand er
einen eiligen Nachtboten, den er nach dem Pe¬

Titan. I. M
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[177/0197] baums ſcheinbare Früchte ſprießen, die nur die fleiſchigen Hüllen der Blüthen ſind! — Und nun, indeß alle Nerven und Wurzeln ſeiner Seele nackt an der harten Luft bloßla¬ gen, — und bei ſo ſchönen friſchen Trieben, wurd' er jetzt ſo oft beſchämend zertreten. In ſeiner Seele glühte die Ehre — durch die künf¬ tigen Jahre wollte ſie wie durch eine weiße Kolonade von Ehrenſäulen gehen — ſchon ein bloßer Alumnus aus der Stadt war ſeiner ruhm- und wiſſens-durſtigen Seele ein klaſſi¬ ſcher Autor — und ſollt' ers erdulden, daß ihn bei dem Ritter der Direktor verklagte und der Wiener verzeichnete? — Harte Thränen wurden wie Funken aus der ſtolzen verletzten Seele geſchlagen und den Kometenkern ſeiner innern Welt zertrieb die Gluth in einen ſchwü¬ len Nebel. Kurz er beſchloß, in der Nacht nach Peſtiz zu rennen — vor ſeinen Vater zu ſtürzen, ihm alles zu melden — und dann wie¬ der nach Hauſe zu gehen, ohne ein Wort da¬ von zu ſagen. Am Ende des Dorfs fand er einen eiligen Nachtboten, den er nach dem Pe¬ Titan. I. M

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/197>, abgerufen am 27.11.2024.