Spiegel, der sie in schöne Menschen-Formen umstellet. Mit welchem süßen Untertauchen in Träume that er, wenn er dem östlichen Wehen entgegengieng, die Augen zu, und zog das Getöse der Landschaft, das Schreien der Hähne und Vögel und eine Hirtenflöte gleichsam tie¬ fer in die verschattete Seele hinein! Und wenn er dann am Gestade des Berges die Augen wieder öffnete, so lagen friedlich drunten im Thale die geweideten weißen Lämmer neben dem Flötenisten und oben am Himmel lager¬ ten sich die glänzenden Lämmerwolken über sie hin! --
Inzwischen mocht' ers einmal versehen und blind zu weit in das Gärtchen -- die Blinde sah ohnehin nicht -- tappen, die Arme offen voraushaltend, um sich nichts auszustoßen: -- als an seiner Brust eine zweite anlag, und er aufsehend das bebende Mädchen so nahe an sich fand, das seitwärts abgebogen stammelte: ach nein, ach nein! -- "Ich bins nur (sagte "der Unschuldige, sie fassend), ich thue dir ja "nichts" -- Und er hielt sie, als sie demüthig¬ furchtsam vertrauete, noch ein wenig fest und
Spiegel, der ſie in ſchöne Menſchen-Formen umſtellet. Mit welchem ſüßen Untertauchen in Träume that er, wenn er dem öſtlichen Wehen entgegengieng, die Augen zu, und zog das Getöſe der Landſchaft, das Schreien der Hähne und Vögel und eine Hirtenflöte gleichſam tie¬ fer in die verſchattete Seele hinein! Und wenn er dann am Geſtade des Berges die Augen wieder öffnete, ſo lagen friedlich drunten im Thale die geweideten weißen Lämmer neben dem Flöteniſten und oben am Himmel lager¬ ten ſich die glänzenden Lämmerwolken über ſie hin! —
Inzwiſchen mocht' ers einmal verſehen und blind zu weit in das Gärtchen — die Blinde ſah ohnehin nicht — tappen, die Arme offen voraushaltend, um ſich nichts auszuſtoßen: — als an ſeiner Bruſt eine zweite anlag, und er aufſehend das bebende Mädchen ſo nahe an ſich fand, das ſeitwärts abgebogen ſtammelte: ach nein, ach nein! — „Ich bins nur (ſagte „der Unſchuldige, ſie faſſend), ich thue dir ja „nichts“ — Und er hielt ſie, als ſie demüthig¬ furchtſam vertrauete, noch ein wenig feſt und
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Spiegel, der ſie in ſchöne Menſchen-Formen
umſtellet. Mit welchem ſüßen Untertauchen in
Träume that er, wenn er dem öſtlichen Wehen
entgegengieng, die Augen zu, und zog das
Getöſe der Landſchaft, das Schreien der Hähne
und Vögel und eine Hirtenflöte gleichſam tie¬
fer in die verſchattete Seele hinein! Und wenn
er dann am Geſtade des Berges die Augen
wieder öffnete, ſo lagen friedlich drunten im
Thale die geweideten weißen Lämmer neben
dem Flöteniſten und oben am Himmel lager¬
ten ſich die glänzenden Lämmerwolken über
ſie hin! —
Inzwiſchen mocht' ers einmal verſehen und
blind zu weit in das Gärtchen — die Blinde
ſah ohnehin nicht — tappen, die Arme offen
voraushaltend, um ſich nichts auszuſtoßen: —
als an ſeiner Bruſt eine zweite anlag, und er
aufſehend das bebende Mädchen ſo nahe an
ſich fand, das ſeitwärts abgebogen ſtammelte:
ach nein, ach nein! — „Ich bins nur (ſagte
„der Unſchuldige, ſie faſſend), ich thue dir ja
„nichts“ — Und er hielt ſie, als ſie demüthig¬
furchtſam vertrauete, noch ein wenig feſt und
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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/163>, abgerufen am 23.11.2024.
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