Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

"auseinander und wollte vergehen" . . . . Da
schlug er die Augen auf.

Aber -- welches überirrdische Erwachen! --
Das weiße ausgeleerte Wölkchen mit Gewitter¬
tropfen befleckt, hieng, auf ihn hereingebückt,
noch am Himmel -- -- -- es war der helle,
liebend-nahe über ihn hereingesunkne, Mond.
Er hatte sich im Schlafe verblutet, weil sich dar¬
in die Binde von der Wunde des Armes durch
das heftige Bewegen desselben verschoben hatte.
Die Entzückungen hatten den Nachtfrost des
Geisterschreckens zerschmolzen. In einem ver¬
klärenden Ersterben flatterte aufgebunden sein
so festes Daseyn umher wie ein beweglicher
Traum -- in den gestirnten Himmel war er
wiegend aufgeschwebt wie an eine Mutterbrust
und alle Sterne waren in den Mond geflossen
und dehnten seinen Schimmer aus -- sein Herz,
in eine warme Thräne geworfen, gieng sanft
darin auseinander -- außer ihm schattete es
nur, in ihm strahlte es blendend -- der Flug
der Erde wehte vor der aufgerichteten Flamme
seines Ichs vorbei und bog sie nicht um. -- Ach
seine Psyche glitt mit scharfen ungeregten un¬

„auseinander und wollte vergehen“ . . . . Da
ſchlug er die Augen auf.

Aber — welches überirrdiſche Erwachen! —
Das weiße ausgeleerte Wölkchen mit Gewitter¬
tropfen befleckt, hieng, auf ihn hereingebückt,
noch am Himmel — — — es war der helle,
liebend-nahe über ihn hereingeſunkne, Mond.
Er hatte ſich im Schlafe verblutet, weil ſich dar¬
in die Binde von der Wunde des Armes durch
das heftige Bewegen deſſelben verſchoben hatte.
Die Entzückungen hatten den Nachtfroſt des
Geiſterſchreckens zerſchmolzen. In einem ver¬
klärenden Erſterben flatterte aufgebunden ſein
ſo feſtes Daſeyn umher wie ein beweglicher
Traum — in den geſtirnten Himmel war er
wiegend aufgeſchwebt wie an eine Mutterbruſt
und alle Sterne waren in den Mond gefloſſen
und dehnten ſeinen Schimmer aus — ſein Herz,
in eine warme Thräne geworfen, gieng ſanft
darin auseinander — außer ihm ſchattete es
nur, in ihm ſtrahlte es blendend — der Flug
der Erde wehte vor der aufgerichteten Flamme
ſeines Ichs vorbei und bog ſie nicht um. — Ach
ſeine Pſyche glitt mit ſcharfen ungeregten un¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0104" n="84"/>
&#x201E;auseinander und wollte vergehen&#x201C; . . . . Da<lb/>
&#x017F;chlug er die Augen auf.</p><lb/>
          <p>Aber &#x2014; welches überirrdi&#x017F;che Erwachen! &#x2014;<lb/>
Das weiße ausgeleerte Wölkchen mit Gewitter¬<lb/>
tropfen befleckt, hieng, auf ihn hereingebückt,<lb/>
noch am Himmel &#x2014; &#x2014; &#x2014; es war der helle,<lb/>
liebend-nahe über ihn hereinge&#x017F;unkne, Mond.<lb/>
Er hatte &#x017F;ich im Schlafe verblutet, weil &#x017F;ich dar¬<lb/>
in die Binde von der Wunde des Armes durch<lb/>
das heftige Bewegen de&#x017F;&#x017F;elben ver&#x017F;choben hatte.<lb/>
Die Entzückungen hatten den Nachtfro&#x017F;t des<lb/>
Gei&#x017F;ter&#x017F;chreckens zer&#x017F;chmolzen. In einem ver¬<lb/>
klärenden Er&#x017F;terben flatterte aufgebunden &#x017F;ein<lb/>
&#x017F;o fe&#x017F;tes Da&#x017F;eyn umher wie ein beweglicher<lb/>
Traum &#x2014; in den ge&#x017F;tirnten Himmel war er<lb/>
wiegend aufge&#x017F;chwebt wie an eine Mutterbru&#x017F;t<lb/>
und alle Sterne waren in den Mond geflo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und dehnten &#x017F;einen Schimmer aus &#x2014; &#x017F;ein Herz,<lb/>
in eine warme Thräne geworfen, gieng &#x017F;anft<lb/>
darin auseinander &#x2014; außer ihm &#x017F;chattete es<lb/>
nur, in ihm &#x017F;trahlte es blendend &#x2014; der Flug<lb/>
der Erde wehte vor der aufgerichteten Flamme<lb/>
&#x017F;eines Ichs vorbei und bog &#x017F;ie nicht um. &#x2014; Ach<lb/>
&#x017F;eine P&#x017F;yche glitt mit &#x017F;charfen ungeregten un¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0104] „auseinander und wollte vergehen“ . . . . Da ſchlug er die Augen auf. Aber — welches überirrdiſche Erwachen! — Das weiße ausgeleerte Wölkchen mit Gewitter¬ tropfen befleckt, hieng, auf ihn hereingebückt, noch am Himmel — — — es war der helle, liebend-nahe über ihn hereingeſunkne, Mond. Er hatte ſich im Schlafe verblutet, weil ſich dar¬ in die Binde von der Wunde des Armes durch das heftige Bewegen deſſelben verſchoben hatte. Die Entzückungen hatten den Nachtfroſt des Geiſterſchreckens zerſchmolzen. In einem ver¬ klärenden Erſterben flatterte aufgebunden ſein ſo feſtes Daſeyn umher wie ein beweglicher Traum — in den geſtirnten Himmel war er wiegend aufgeſchwebt wie an eine Mutterbruſt und alle Sterne waren in den Mond gefloſſen und dehnten ſeinen Schimmer aus — ſein Herz, in eine warme Thräne geworfen, gieng ſanft darin auseinander — außer ihm ſchattete es nur, in ihm ſtrahlte es blendend — der Flug der Erde wehte vor der aufgerichteten Flamme ſeines Ichs vorbei und bog ſie nicht um. — Ach ſeine Pſyche glitt mit ſcharfen ungeregten un¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/104
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/104>, abgerufen am 22.11.2024.