Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

ihm werden. (Armer Kranker! es ist eher anders
mit dir geworden.) Allein ein gewisses Fieberbild,
das er nicht entdeckte, sprach ihm sein krankes
Leben ab; und sein Aberglaube an diesen Traum
war so fest, daß er seitdem seine Blumenstöcke
nicht mehr begoß, seine Vögel weggab und alle
Wünsche auslöschte, bloß den nach Gustav nicht.

Es war am andern Tage gerade Markttag.
Dieses Getöse hatte für seine der Todesstille geweih¬
ten Ohren zu viel Leben und Gustav muste sich an
sein Bette setzen, damit er unter dem Sprechen
und Hören nicht auf den Markt hinunter horchte.
Gustav erschrack als er endlich lebhaft fragte: "ob
er Beaten noch liebe." Er wich dem Ja aus; aber
Amandus rafte das wenige Leben, das noch in
seinen Nerven wärmte, zusammen und sagte, aber
in langen Pausen zwischen jedem Satze: "o nimm
ihr dein Herz nicht -- wenn du sie kenntest wie
ich -- ich war oft bei ihrem Vater -- ich sah wie
sie mit stummer Geduld seine Hitze trug -- wie
sie die Fehler ihrer Mutter auf sich nahm -- voll
Güte, voll Sanftmuth, voll Demuth, voll Ver¬
stand -- so ist sie -- ach ohne ihr Bild wär' in
meinem Leben wenig Freude gewesen -- gieb mir

ihm werden. (Armer Kranker! es iſt eher anders
mit dir geworden.) Allein ein gewiſſes Fieberbild,
das er nicht entdeckte, ſprach ihm ſein krankes
Leben ab; und ſein Aberglaube an dieſen Traum
war ſo feſt, daß er ſeitdem ſeine Blumenſtoͤcke
nicht mehr begoß, ſeine Voͤgel weggab und alle
Wuͤnſche ausloͤſchte, bloß den nach Guſtav nicht.

Es war am andern Tage gerade Markttag.
Dieſes Getoͤſe hatte fuͤr ſeine der Todesſtille geweih¬
ten Ohren zu viel Leben und Guſtav muſte ſich an
ſein Bette ſetzen, damit er unter dem Sprechen
und Hoͤren nicht auf den Markt hinunter horchte.
Guſtav erſchrack als er endlich lebhaft fragte: „ob
er Beaten noch liebe.” Er wich dem Ja aus; aber
Amandus rafte das wenige Leben, das noch in
ſeinen Nerven waͤrmte, zuſammen und ſagte, aber
in langen Pauſen zwiſchen jedem Satze: „o nimm
ihr dein Herz nicht — wenn du ſie kennteſt wie
ich — ich war oft bei ihrem Vater — ich ſah wie
ſie mit ſtummer Geduld ſeine Hitze trug — wie
ſie die Fehler ihrer Mutter auf ſich nahm — voll
Guͤte, voll Sanftmuth, voll Demuth, voll Ver¬
ſtand — ſo iſt ſie — ach ohne ihr Bild waͤr' in
meinem Leben wenig Freude geweſen — gieb mir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0098" n="88"/>
ihm werden. (Armer Kranker! es i&#x017F;t eher anders<lb/>
mit dir geworden.) Allein ein gewi&#x017F;&#x017F;es Fieberbild,<lb/>
das er nicht entdeckte, &#x017F;prach ihm &#x017F;ein krankes<lb/>
Leben ab; und &#x017F;ein Aberglaube an die&#x017F;en Traum<lb/>
war &#x017F;o fe&#x017F;t, daß er &#x017F;eitdem &#x017F;eine Blumen&#x017F;to&#x0364;cke<lb/>
nicht mehr begoß, &#x017F;eine Vo&#x0364;gel weggab und alle<lb/>
Wu&#x0364;n&#x017F;che auslo&#x0364;&#x017F;chte, bloß den nach Gu&#x017F;tav nicht.</p><lb/>
          <p>Es war am andern Tage gerade Markttag.<lb/>
Die&#x017F;es Geto&#x0364;&#x017F;e hatte fu&#x0364;r &#x017F;eine der Todes&#x017F;tille geweih¬<lb/>
ten Ohren zu viel Leben und Gu&#x017F;tav mu&#x017F;te &#x017F;ich an<lb/>
&#x017F;ein Bette &#x017F;etzen, damit er unter dem Sprechen<lb/>
und Ho&#x0364;ren nicht auf den Markt hinunter horchte.<lb/>
Gu&#x017F;tav er&#x017F;chrack als er endlich lebhaft fragte: &#x201E;ob<lb/>
er Beaten noch liebe.&#x201D; Er wich dem Ja aus; aber<lb/>
Amandus rafte das wenige Leben, das noch in<lb/>
&#x017F;einen Nerven wa&#x0364;rmte, zu&#x017F;ammen und &#x017F;agte, aber<lb/>
in langen Pau&#x017F;en zwi&#x017F;chen jedem Satze: &#x201E;o nimm<lb/>
ihr dein Herz nicht &#x2014; wenn du &#x017F;ie kennte&#x017F;t wie<lb/>
ich &#x2014; ich war oft bei ihrem Vater &#x2014; ich &#x017F;ah wie<lb/>
&#x017F;ie mit &#x017F;tummer Geduld &#x017F;eine Hitze trug &#x2014; wie<lb/>
&#x017F;ie die Fehler ihrer Mutter auf &#x017F;ich nahm &#x2014; voll<lb/>
Gu&#x0364;te, voll Sanftmuth, voll Demuth, voll Ver¬<lb/>
&#x017F;tand &#x2014; &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie &#x2014; ach ohne ihr Bild wa&#x0364;r' in<lb/>
meinem Leben wenig Freude gewe&#x017F;en &#x2014; gieb mir<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0098] ihm werden. (Armer Kranker! es iſt eher anders mit dir geworden.) Allein ein gewiſſes Fieberbild, das er nicht entdeckte, ſprach ihm ſein krankes Leben ab; und ſein Aberglaube an dieſen Traum war ſo feſt, daß er ſeitdem ſeine Blumenſtoͤcke nicht mehr begoß, ſeine Voͤgel weggab und alle Wuͤnſche ausloͤſchte, bloß den nach Guſtav nicht. Es war am andern Tage gerade Markttag. Dieſes Getoͤſe hatte fuͤr ſeine der Todesſtille geweih¬ ten Ohren zu viel Leben und Guſtav muſte ſich an ſein Bette ſetzen, damit er unter dem Sprechen und Hoͤren nicht auf den Markt hinunter horchte. Guſtav erſchrack als er endlich lebhaft fragte: „ob er Beaten noch liebe.” Er wich dem Ja aus; aber Amandus rafte das wenige Leben, das noch in ſeinen Nerven waͤrmte, zuſammen und ſagte, aber in langen Pauſen zwiſchen jedem Satze: „o nimm ihr dein Herz nicht — wenn du ſie kennteſt wie ich — ich war oft bei ihrem Vater — ich ſah wie ſie mit ſtummer Geduld ſeine Hitze trug — wie ſie die Fehler ihrer Mutter auf ſich nahm — voll Guͤte, voll Sanftmuth, voll Demuth, voll Ver¬ ſtand — ſo iſt ſie — ach ohne ihr Bild waͤr' in meinem Leben wenig Freude geweſen — gieb mir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/98
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/98>, abgerufen am 22.11.2024.