ten Galle schüttete, zweitens weil es ja in der Stunde, wo die ganze Natur in Gesellschaft des Todes mit harten Griffen dem Menschen allen Putz und alle Kleidungsstücke abzieht, die sie ihm gelie¬ hen, für die ohnmächtigen Freunde, die diese un¬ erbittliche Hand nicht halten können, noch der ein¬ zige Trost ist, unter dem Entkleiden, Erfrieren und Einschlafen des Bekannten durch Lächeln, durch unbedingte Gefälligkeit gegen alle seine Lau¬ nen, durch Erfüllung seines Eigensinns stille zu seyn. -- Auf solche Charitativ-Subsidien gegen arme Sterbende schauet man nach vielen Jahren mit mehr Zufriedenheit zurück als auf die gegen alle Gesunde auf einmal -- und doch sind beide nur um ein Paar Stunden verschieden; denn du steig'st nicht oft in deinem Bette aus und ein, so bleibst du drinnen liegen. . . .
Lieber Tod! ich denke jezt an mich: wenn du einmal in meine Stube tritst: so erweise mir den Gefallen und schieß' mich an meinem Secretaire oder Schreibtisch Knall und Fall todt; werfe mich lieber Todt, nicht hinter die Vorhänge aufs Kran¬ kenbette und suche mit deinem Trennmesser lang¬ sam jede Ader, um sie vom Leben loßzutrennen,
ten Galle ſchuͤttete, zweitens weil es ja in der Stunde, wo die ganze Natur in Geſellſchaft des Todes mit harten Griffen dem Menſchen allen Putz und alle Kleidungsſtuͤcke abzieht, die ſie ihm gelie¬ hen, fuͤr die ohnmaͤchtigen Freunde, die dieſe un¬ erbittliche Hand nicht halten koͤnnen, noch der ein¬ zige Troſt iſt, unter dem Entkleiden, Erfrieren und Einſchlafen des Bekannten durch Laͤcheln, durch unbedingte Gefaͤlligkeit gegen alle ſeine Lau¬ nen, durch Erfuͤllung ſeines Eigenſinns ſtille zu ſeyn. — Auf ſolche Charitativ-Subſidien gegen arme Sterbende ſchauet man nach vielen Jahren mit mehr Zufriedenheit zuruͤck als auf die gegen alle Geſunde auf einmal — und doch ſind beide nur um ein Paar Stunden verſchieden; denn du ſteig'ſt nicht oft in deinem Bette aus und ein, ſo bleibſt du drinnen liegen. . . .
Lieber Tod! ich denke jezt an mich: wenn du einmal in meine Stube tritſt: ſo erweiſe mir den Gefallen und ſchieß' mich an meinem Secretaire oder Schreibtiſch Knall und Fall todt; werfe mich lieber Todt, nicht hinter die Vorhaͤnge aufs Kran¬ kenbette und ſuche mit deinem Trennmeſſer lang¬ ſam jede Ader, um ſie vom Leben loßzutrennen,
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ten Galle ſchuͤttete, zweitens weil es ja in der
Stunde, wo die ganze Natur in Geſellſchaft des
Todes mit harten Griffen dem Menſchen allen Putz
und alle Kleidungsſtuͤcke abzieht, die ſie ihm gelie¬
hen, fuͤr die ohnmaͤchtigen Freunde, die dieſe un¬
erbittliche Hand nicht halten koͤnnen, noch der ein¬
zige Troſt iſt, unter dem Entkleiden, Erfrieren
und Einſchlafen des Bekannten durch Laͤcheln,
durch unbedingte Gefaͤlligkeit gegen alle ſeine Lau¬
nen, durch Erfuͤllung ſeines Eigenſinns ſtille zu
ſeyn. — Auf ſolche Charitativ-Subſidien gegen
arme Sterbende ſchauet man nach vielen Jahren
mit mehr Zufriedenheit zuruͤck als auf die gegen
alle Geſunde auf einmal — und doch ſind beide
nur um ein Paar Stunden verſchieden; denn du
ſteig'ſt nicht oft in deinem Bette aus und ein, ſo
bleibſt du drinnen liegen. . . .
Lieber Tod! ich denke jezt an mich: wenn du
einmal in meine Stube tritſt: ſo erweiſe mir den
Gefallen und ſchieß' mich an meinem Secretaire
oder Schreibtiſch Knall und Fall todt; werfe mich
lieber Todt, nicht hinter die Vorhaͤnge aufs Kran¬
kenbette und ſuche mit deinem Trennmeſſer lang¬
ſam jede Ader, um ſie vom Leben loßzutrennen,
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/96>, abgerufen am 22.11.2024.
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