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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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sie zu hören bekamen. Er glitschte allemal neben
der rechten Taste hinaus und grif Konsonanzen, wo
Dissonanzen in der Partitur geschrieben standen
und umgekehrt. Bald erstaunte er über die fremde
freimüthige Lizenz, bald erstaunten seine Nach¬
barn über seine; und Witz wär' ihm leichter ge¬
wesen als einen Ton zu treffen, der ihm bald zu
kühn bald zu feig vorkam. -- Das wars aber nicht
eigentlich: sondern sein wichtiger Fehler, der wie
ein Fußblock seine Füße hielt war,
daß er logisch richtig dachte. --

Den Fehler haben viele; und ich selber mu¬
ste mich viele Vormittage üben und mit der Seele
volltigieren, eh' ich einigermassen unzusammen¬
hängend und hüpfend denken konnte nur wie ein
halber Narr. Ich hätt' es am Ende doch zu Nichts
gebracht, wenn ich mich nicht zu Weibern in die
Schule und auf die Schulbank gesetzet hätte: Die¬
se denken weniger logisch und wer bei ihnen den
guten Ton nicht erlernt, aus dem ist nichts zu
machen -- als ein deutscher Metaphysiker. Ant¬
worten sie wohl jemals Ja oder Nein, statt des¬
sen was nicht zur Sache gehöret? drücken sie sich
über das Wichtigste bedachtsam und mit prozessua¬

ſie zu hoͤren bekamen. Er glitſchte allemal neben
der rechten Taſte hinaus und grif Konſonanzen, wo
Diſſonanzen in der Partitur geſchrieben ſtanden
und umgekehrt. Bald erſtaunte er uͤber die fremde
freimuͤthige Lizenz, bald erſtaunten ſeine Nach¬
barn uͤber ſeine; und Witz waͤr' ihm leichter ge¬
weſen als einen Ton zu treffen, der ihm bald zu
kuͤhn bald zu feig vorkam. — Das wars aber nicht
eigentlich: ſondern ſein wichtiger Fehler, der wie
ein Fußblock ſeine Fuͤße hielt war,
daß er logiſch richtig dachte. —

Den Fehler haben viele; und ich ſelber mu¬
ſte mich viele Vormittage uͤben und mit der Seele
volltigieren, eh' ich einigermaſſen unzuſammen¬
haͤngend und huͤpfend denken konnte nur wie ein
halber Narr. Ich haͤtt' es am Ende doch zu Nichts
gebracht, wenn ich mich nicht zu Weibern in die
Schule und auf die Schulbank geſetzet haͤtte: Die¬
ſe denken weniger logiſch und wer bei ihnen den
guten Ton nicht erlernt, aus dem iſt nichts zu
machen — als ein deutſcher Metaphyſiker. Ant¬
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[77/0087] ſie zu hoͤren bekamen. Er glitſchte allemal neben der rechten Taſte hinaus und grif Konſonanzen, wo Diſſonanzen in der Partitur geſchrieben ſtanden und umgekehrt. Bald erſtaunte er uͤber die fremde freimuͤthige Lizenz, bald erſtaunten ſeine Nach¬ barn uͤber ſeine; und Witz waͤr' ihm leichter ge¬ weſen als einen Ton zu treffen, der ihm bald zu kuͤhn bald zu feig vorkam. — Das wars aber nicht eigentlich: ſondern ſein wichtiger Fehler, der wie ein Fußblock ſeine Fuͤße hielt war, daß er logiſch richtig dachte. — Den Fehler haben viele; und ich ſelber mu¬ ſte mich viele Vormittage uͤben und mit der Seele volltigieren, eh' ich einigermaſſen unzuſammen¬ haͤngend und huͤpfend denken konnte nur wie ein halber Narr. Ich haͤtt' es am Ende doch zu Nichts gebracht, wenn ich mich nicht zu Weibern in die Schule und auf die Schulbank geſetzet haͤtte: Die¬ ſe denken weniger logiſch und wer bei ihnen den guten Ton nicht erlernt, aus dem iſt nichts zu machen — als ein deutſcher Metaphyſiker. Ant¬ worten ſie wohl jemals Ja oder Nein, ſtatt deſ¬ ſen was nicht zur Sache gehoͤret? druͤcken ſie ſich uͤber das Wichtigſte bedachtſam und mit prozeſſua¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/87>, abgerufen am 25.11.2024.