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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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Herbst; Ottomars seine aber war ein Polarland,
das sengende lange Tage, lange Eis-Nächte, Or¬
kane, Eis-Berge und Tempische Thäler-Fülle
durchstrichen. -- --

Der Gustavischen Bescheidenheit kam also nichts
natürlicher vor als daß Beata einen, der seinen
Geist und Körper so gut zu zeigen wuste, über
ihn stellte, der beides nicht konnte und der dazu
einmal ihren Vater halb todt geärgert hatte. Sein
Blut gieng mithin langsam traurig, da er zur
Residentin schlich. Es war ihm, als könnt' er
heute sie als seine Freundin ansehen -- das that
er wirklich halb, als sie ihm noch dazu eine eben
so trauriges Air und Gesicht entgegen trug, dem
ähnlich, in dem eine Frau eine Woche nach dem
Verlust ihres Geliebten mit leeren Augen und er¬
kalteten Wangen am meisten rührt. Es wär' sag¬
te sie, der Sterbetag ihres jüngsten Bruders, den
sie und der sie am meisten geliebt. Sie ließ sich in
Trauerkleidung mahlen. Nichts wirkt stärker als
der Lustige, der einmal in die Semitonien des
Kummers fällt. Gustav hatte überhaupt zu viel
Zuneigung für Menschen, in deren Ohren das
Trauergeläute irgend eines Verlustes wiedertönte

2. Theil. D

Herbſt; Ottomars ſeine aber war ein Polarland,
das ſengende lange Tage, lange Eis-Naͤchte, Or¬
kane, Eis-Berge und Tempiſche Thaͤler-Fuͤlle
durchſtrichen. — —

Der Guſtaviſchen Beſcheidenheit kam alſo nichts
natuͤrlicher vor als daß Beata einen, der ſeinen
Geiſt und Koͤrper ſo gut zu zeigen wuſte, uͤber
ihn ſtellte, der beides nicht konnte und der dazu
einmal ihren Vater halb todt geaͤrgert hatte. Sein
Blut gieng mithin langſam traurig, da er zur
Reſidentin ſchlich. Es war ihm, als koͤnnt' er
heute ſie als ſeine Freundin anſehen — das that
er wirklich halb, als ſie ihm noch dazu eine eben
ſo trauriges Air und Geſicht entgegen trug, dem
aͤhnlich, in dem eine Frau eine Woche nach dem
Verluſt ihres Geliebten mit leeren Augen und er¬
kalteten Wangen am meiſten ruͤhrt. Es waͤr' ſag¬
te ſie, der Sterbetag ihres juͤngſten Bruders, den
ſie und der ſie am meiſten geliebt. Sie ließ ſich in
Trauerkleidung mahlen. Nichts wirkt ſtaͤrker als
der Luſtige, der einmal in die Semitonien des
Kummers faͤllt. Guſtav hatte uͤberhaupt zu viel
Zuneigung fuͤr Menſchen, in deren Ohren das
Trauergelaͤute irgend eines Verluſtes wiedertoͤnte

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[49/0059] Herbſt; Ottomars ſeine aber war ein Polarland, das ſengende lange Tage, lange Eis-Naͤchte, Or¬ kane, Eis-Berge und Tempiſche Thaͤler-Fuͤlle durchſtrichen. — — Der Guſtaviſchen Beſcheidenheit kam alſo nichts natuͤrlicher vor als daß Beata einen, der ſeinen Geiſt und Koͤrper ſo gut zu zeigen wuſte, uͤber ihn ſtellte, der beides nicht konnte und der dazu einmal ihren Vater halb todt geaͤrgert hatte. Sein Blut gieng mithin langſam traurig, da er zur Reſidentin ſchlich. Es war ihm, als koͤnnt' er heute ſie als ſeine Freundin anſehen — das that er wirklich halb, als ſie ihm noch dazu eine eben ſo trauriges Air und Geſicht entgegen trug, dem aͤhnlich, in dem eine Frau eine Woche nach dem Verluſt ihres Geliebten mit leeren Augen und er¬ kalteten Wangen am meiſten ruͤhrt. Es waͤr' ſag¬ te ſie, der Sterbetag ihres juͤngſten Bruders, den ſie und der ſie am meiſten geliebt. Sie ließ ſich in Trauerkleidung mahlen. Nichts wirkt ſtaͤrker als der Luſtige, der einmal in die Semitonien des Kummers faͤllt. Guſtav hatte uͤberhaupt zu viel Zuneigung fuͤr Menſchen, in deren Ohren das Trauergelaͤute irgend eines Verluſtes wiedertoͤnte 2. Theil. D

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/59>, abgerufen am 22.11.2024.