Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

Da es meinem Gustav im Buche wie im Leben
gehen kann: so hätt' ich folgende Anmerkung noch
eher machen sollen: niemand war leichter zu ver¬
kennen als er -- alle Strahlen seiner Seele brach
die Wolkenhülle milder Demuth, ja seitdem Oefel
ihm Stolz auf dem Gesichte vorgeworfen, sucht'
er gerade so demüthig auszusehen als er war --
sein Aeußeres war still, einfach, voll Liebe, oh¬
ne Prätensionen: aber auch ohne durchbrechenden
Witz und Humor -- Phantasie und Verstand arbei¬
teten in ihm wie in einem einsamen Tempel, Al¬
tarblätter mit großen Massen und ließen mithin
nicht wie andre, Dosenstücke und Medaillons von
der Zunge purzeln -- er war was Deskartes von
der Erde glaubt, eine inkrustirte Sonne, aber
unter den phosphoreßierenden Lichtern des Hofes
ein dunkler Erdkörper -- er war das äußere Ge¬
gentheil von Ottomar, der mit seiner Sonne sei¬
ne Kruste durchgebrannt hatte und nun vor den
Leuten stand blitzend, knisternd, glühend, anrei¬
ßend, einäschernd und ausbrütend -- Gustavs See¬
le war ein gemäßigtes Land ohne Stürme, voll
Sonnenschein ohne Sonnenhitze, ganz mit Grün
und Knospen überzogen, ein magisches Italien im

Herbst

Da es meinem Guſtav im Buche wie im Leben
gehen kann: ſo haͤtt' ich folgende Anmerkung noch
eher machen ſollen: niemand war leichter zu ver¬
kennen als er — alle Strahlen ſeiner Seele brach
die Wolkenhuͤlle milder Demuth, ja ſeitdem Oefel
ihm Stolz auf dem Geſichte vorgeworfen, ſucht'
er gerade ſo demuͤthig auszuſehen als er war —
ſein Aeußeres war ſtill, einfach, voll Liebe, oh¬
ne Praͤtenſionen: aber auch ohne durchbrechenden
Witz und Humor — Phantaſie und Verſtand arbei¬
teten in ihm wie in einem einſamen Tempel, Al¬
tarblaͤtter mit großen Maſſen und ließen mithin
nicht wie andre, Doſenſtuͤcke und Medaillons von
der Zunge purzeln — er war was Deſkartes von
der Erde glaubt, eine inkruſtirte Sonne, aber
unter den phoſphoreſzierenden Lichtern des Hofes
ein dunkler Erdkoͤrper — er war das aͤußere Ge¬
gentheil von Ottomar, der mit ſeiner Sonne ſei¬
ne Kruſte durchgebrannt hatte und nun vor den
Leuten ſtand blitzend, kniſternd, gluͤhend, anrei¬
ßend, einaͤſchernd und ausbruͤtend — Guſtavs See¬
le war ein gemaͤßigtes Land ohne Stuͤrme, voll
Sonnenſchein ohne Sonnenhitze, ganz mit Gruͤn
und Knoſpen uͤberzogen, ein magiſches Italien im

Herbſt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0058" n="48"/>
          <p>Da es meinem Gu&#x017F;tav im Buche wie im Leben<lb/>
gehen kann: &#x017F;o ha&#x0364;tt' ich folgende Anmerkung noch<lb/>
eher machen &#x017F;ollen: niemand war leichter zu ver¬<lb/>
kennen als er &#x2014; alle Strahlen &#x017F;einer Seele brach<lb/>
die Wolkenhu&#x0364;lle milder Demuth, ja &#x017F;eitdem Oefel<lb/>
ihm Stolz auf dem Ge&#x017F;ichte vorgeworfen, &#x017F;ucht'<lb/>
er gerade &#x017F;o demu&#x0364;thig auszu&#x017F;ehen als er war &#x2014;<lb/>
&#x017F;ein Aeußeres war &#x017F;till, einfach, voll Liebe, oh¬<lb/>
ne Pra&#x0364;ten&#x017F;ionen: aber auch ohne durchbrechenden<lb/>
Witz und Humor &#x2014; Phanta&#x017F;ie und Ver&#x017F;tand arbei¬<lb/>
teten in ihm wie in einem ein&#x017F;amen Tempel, Al¬<lb/>
tarbla&#x0364;tter mit großen Ma&#x017F;&#x017F;en und ließen mithin<lb/>
nicht wie andre, Do&#x017F;en&#x017F;tu&#x0364;cke und Medaillons von<lb/>
der Zunge purzeln &#x2014; er war was De&#x017F;kartes von<lb/>
der Erde glaubt, eine inkru&#x017F;tirte Sonne, aber<lb/>
unter den pho&#x017F;phore&#x017F;zierenden Lichtern des Hofes<lb/>
ein dunkler Erdko&#x0364;rper &#x2014; er war das a&#x0364;ußere Ge¬<lb/>
gentheil von Ottomar, der mit &#x017F;einer Sonne &#x017F;ei¬<lb/>
ne Kru&#x017F;te durchgebrannt hatte und nun vor den<lb/>
Leuten &#x017F;tand blitzend, kni&#x017F;ternd, glu&#x0364;hend, anrei¬<lb/>
ßend, eina&#x0364;&#x017F;chernd und ausbru&#x0364;tend &#x2014; Gu&#x017F;tavs See¬<lb/>
le war ein gema&#x0364;ßigtes Land ohne Stu&#x0364;rme, voll<lb/>
Sonnen&#x017F;chein ohne Sonnenhitze, ganz mit Gru&#x0364;n<lb/>
und Kno&#x017F;pen u&#x0364;berzogen, ein magi&#x017F;ches Italien im<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Herb&#x017F;t<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0058] Da es meinem Guſtav im Buche wie im Leben gehen kann: ſo haͤtt' ich folgende Anmerkung noch eher machen ſollen: niemand war leichter zu ver¬ kennen als er — alle Strahlen ſeiner Seele brach die Wolkenhuͤlle milder Demuth, ja ſeitdem Oefel ihm Stolz auf dem Geſichte vorgeworfen, ſucht' er gerade ſo demuͤthig auszuſehen als er war — ſein Aeußeres war ſtill, einfach, voll Liebe, oh¬ ne Praͤtenſionen: aber auch ohne durchbrechenden Witz und Humor — Phantaſie und Verſtand arbei¬ teten in ihm wie in einem einſamen Tempel, Al¬ tarblaͤtter mit großen Maſſen und ließen mithin nicht wie andre, Doſenſtuͤcke und Medaillons von der Zunge purzeln — er war was Deſkartes von der Erde glaubt, eine inkruſtirte Sonne, aber unter den phoſphoreſzierenden Lichtern des Hofes ein dunkler Erdkoͤrper — er war das aͤußere Ge¬ gentheil von Ottomar, der mit ſeiner Sonne ſei¬ ne Kruſte durchgebrannt hatte und nun vor den Leuten ſtand blitzend, kniſternd, gluͤhend, anrei¬ ßend, einaͤſchernd und ausbruͤtend — Guſtavs See¬ le war ein gemaͤßigtes Land ohne Stuͤrme, voll Sonnenſchein ohne Sonnenhitze, ganz mit Gruͤn und Knoſpen uͤberzogen, ein magiſches Italien im Herbſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/58
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/58>, abgerufen am 25.11.2024.